Friesenschnee
Alkoholfahne vom Doc hatte sich Ohmsen inzwischen gewöhnt.
Kurz vor Utersum schreckte der stinkende Kotzbrocken aus seinem Brausebrand hoch und wies begeistert auf einen flackernden Lichterschein am Horizont. »Meine Jungs.«
Als Ohmsen sich dem lodernden Lagerfeuer der Hualewjonken näherte, war er über die Mächtigkeit der gewaltigen Feuerzungen erschrocken, die nach dem dunklen Nachthimmel gierten und nach den danebenliegenden Reetdachhäusern leckten. In diesem Moment wünschte sich Ohmsen inständig, diese wilden Gesellen niemals kennengelernt zu haben.
Er stoppte den alten Transit abseits von den Hünengräbern mit Hinweis auf die Feuergefahr. Als er ausstieg, war das laute Gegröle der Bande nicht mehr zu überhören. Glücklicherweise scherte sich keiner der feiernden Hualewjonken um die Ankunft seines Fahrzeugs, und so konnte ihm der Doc ungestört von der Feierlust seiner Kumpane den Weg zum Präsi bahnen.
Hans-Harald Ohmsen war zunächst unklar, was an dieser sensiblen Stelle gefeiert wurde, denn eines der üblichen Saufgelage schien es ihm nicht zu sein. Sie mussten schon fette Beute gemacht haben.
Als ihn der Präsi bemerkte, winkte er ihn sofort zu sich, damit vor seinen Jüngern klar wurde, wer hier wem etwas mitzuteilen hatte.
Notgedrungen musste Ohmsen auch dieses Spielchen mitmachen. Auch wenn es für ihn nicht lustig werden würde, letztendlich war für ihn das Gespräch mit dem Präsi lediglich die letzte Etappe vor seinem Ziel.
Der Präsi hielt, auf einem Klappstuhl sitzend, Hof auf dem höchsten Hünengrab. Er musste gejagt oder geangelt haben, denn unter seinen Fingernägeln klebte noch Blut.
So begrüßte ihn Hans-Harald Ohmsen standesgemäß. »Grüß dich, Präsi. Riecht verdächtig nach Jagdglück hier. Glückwunsch.«
Obwohl es der Campingstuhl kaum hergab, streckte sich der Präsident entspannt zurück. »Ah, sieh an, hoher Besuch aus der Landeshauptstadt Kiel. Habe die Ehre.«
Was blieb Ohmsen anderes übrig, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Er bot ihm die Hand zum Gruß an, die der Präsi sofort nutzte, um ihn dicht an sich heranzuziehen.
»Ah, der große Meister H 2 O höchstpersönlich muss sich eigenhändig vor Ort die Finger schmutzig machen. Ungewöhnliches Geschäftsgebaren für einen Überflieger wie dich, oder nicht?«
Ohmsen lächelte gequält zurück, weil es dem Präsi keineswegs anstand, die Verballhornung seines Vor- und Nachnamens in den Mund zu nehmen. Sein verhasster Chemielehrer hatte ihn damit immer aufgezogen, wenn ihm seine Leistungen nicht ausreichten. ›Zu dünn die Suppe, H 2 O. Nur von Wasser kann man nicht leben‹, folgte dann immer zur Freude seiner Mitschüler die Hänselei. Wenn er nur ein wenig besser in Chemie gewesen wäre, hätte er seinen Lehrer sicherlich irgendwann vergiftet.
Doch immerhin gaben ihm die Hänseleien Anlass, die Schmalspurgleise seiner Eltern zu verlassen und in größere Geschäfte zu investieren. Natürlich mussten die Renditen stimmen, das war zunächst ein großes Problem gewesen.
Doch nachdem er die kurze Haft wegen seines Schneeballsystems mit Spekulationen an der Tokioter Börse abgesessen hatte, konnte er sich im Drogengeschäft erfolgreich etablieren. Immer mehr Geld floss in seine Taschen. In den letzten beiden Jahren trug die Theatertruppe ›MischMasch‹ erfolgreich zu seiner Tarnung bei der Verteilung des Zeugs bei. Friesenschnee, so nannte Pimmel das immer. Lediglich Pimmels Idee, diese abgetörnten Föhrer Dorfpunks zu einer Traditionstruppe zu ernennen, um sie zur besseren Tarnung bei der Beschaffung des Zeugs zu nutzen, die schien nicht aufzugehen. Doch dafür würde er Pimmel schon noch zur Verantwortung ziehen.
Zunächst galt es jedoch, den Präsi friedlich zu halten. »Tja, so kann das Leben spielen. Manchmal muss der Meister eben selbst ran, wenn die Gesellen die Arbeit nicht fachgerecht erledigen können.«
Der Präsi nickte ihm zu, doch warum er dabei auf seine Fingernägel schielte, das erschloss sich ihm nicht.
Der Rädelsführer der Hualewjonken wälzte vermutlich ganz andere Probleme und nickte gnädig zurück. »Ja, das kenne ich auch. Schau dir nur meine Truppe hier auf Tribergen an. Eine verschworene und wilde Bande. Sie sind heiß, und sie würden alles für Föhr geben. Ich als ihr Boss dagegen fühle mich eher als Unternehmer, der aufpasst, dass alles glatt abläuft. So musste ich in der letzten Zeit die Strukturen innerhalb der Gang ein wenig umstellen, damit mir
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