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Friesenschnee

Titel: Friesenschnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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ein Gewehr gehabt hätte, dann könnte er ihn wie ein angeschlagenes Tier erlegen, denn Halbedel taumelte an der Dachkante des Wasserturmes auf und ab, was wegen der nicht unerheblichen Schrägung recht gefährlich aussah. Vermutlich zielte er darauf ab, alle Blicke von unten auf sich zu ziehen.
    Das war leichtsinnig, denn die Beamten unterhalb des Turms mussten inzwischen allesamt ihre Waffen auf den von immer mehr Scheinwerfern erfassten Halbedel angelegt haben.
    Halbedel störte das nicht weiter, denn er blieb jetzt sogar stehen und hob theatralisch beide Hände, um absolute Stille einzufordern.
    Unterhalb des Wasserturmes schien die Spannung zu steigen, denn selbst die Spürhunde stellten ihr Gekläffe ein, nachdem alle Lichtkegel auf Halbedel gerichtet waren.
     
    Stuhr erschrak fast zu Tode, als er plötzlich eine Berührung im Rücken spürte. War es der harte Lauf einer Waffe? Sollte Halbedel hier oben einen Komplizen postiert haben? Etwa noch jemand aus der Schauspieltruppe? Stuhr hob die Hände und ergab sich.
    Eine sonore Stimme beruhigte ihn. »Entschuldigung. Ich bin’s nur, Wolters vom SondereinsatzkommandoII. Ganz schön eng hier oben.«
    Stuhr drehte sich vorsichtig um und musterte ungläubig die schwarze Maske eines uniformierten Einsatzbeamten.
    In der Tat, es war Wolters, den er seit einem gemeinsam absolvierten Lehrgang der Landesregierung immer wieder auf der Tankstelle traf. Befreit antwortete Stuhr: »Mensch, Wolters, Sie wissen gar nicht, wie erleichtert ich bin, dass wir uns gerade hier wiedersehen.«
    Der Maskierte nickte wie selbstverständlich zurück, als wenn sie ein vertrautes Schwätzchen am Sonntagmorgen auf der Tanke halten würden. »Keine Angst, ich passe schon auf Sie auf. Eine Schießausbildung werden Sie in der Staatskanzlei kaum absolviert haben.«
    Wolters unternahm allerdings keinerlei Anstalten, seine Maschinenpistole auf Halbedel anzulegen.
    »Kein Schießbefehl?«, wunderte sich Stuhr. »Sie könnten den Halunken jetzt gut abknallen, der uns unten bedroht hat.«
    Der Maskierte schüttelte energisch den Kopf. »Sicherung der Turmspitze, so lautet mein Befehl momentan. Lassen Sie das mal die Profis machen. Kommissar Hansen will den Burschen bei lebendigem Leibe einkassieren.«
    Dann wies er auf Halbedel, der inzwischen anscheinend Gefallen daran gefunden hatte, ein größeres Publikum unter sich versammeln zu können, als es vorher die gesamte Theatertruppe im Wasserturm vermocht hatte.
    Theatralisch beugte er sich über den Rand des Turms. »Das ist jetzt kein Spiel mehr, die werten Herren. Schon einmal mit der Mutti im Theater gewesen? Hamlet gesehen?«
    Die Haltung, die Halbedel jetzt einnahm, erinnerte ein wenig an die Posen von Diktatoren. Stuhr bezweifelte allerdings, dass die bei ihren Schandtaten genau wie Halbedel in seiner engen Jeans eine klitschnasse Pofalte bekamen.
    ›Arschwasser‹ hatten Stuhrs Kollegen das früher immer genannt, wenn ihnen der Schweiß vor Angst die Kimme hinunterlief.
    Halbedel überspielte seine Angst. Ohne eine Reaktion abzuwarten, legte er seine rechte Faust zu einer Denkerpose an die Stirn und begann unaufgefordert, eine Kostprobe seines schauspielerischen Könnens abzulegen. »Sein oder Nichtsein: Das ist hier die Frage. Obs edler im Gemüt, die Pfeil und Schleudern des wütenden Geschicks erdulden, oder…«
    Halbedel unterbrach unerwartet seinen Monolog und fummelte aus der ausgebeulten Hosentasche seine Schusswaffe zurück, bevor er seine Rede fortsetzte. »Sich waffnend gegen eine See von Plagen …«
    Jetzt wurde es vermutlich ernst. Halbedel trat an die Dachkante und wedelte mit der Pistole lässig zu den Polizeieinheiten unter ihm. Er wiederholte den letzten begonnenen Satz und vollendete ihn. »Sich waffnend gegen eine See von Plagen, durch Widerstand sie enden? Sterben – schlafen …«
    Für Stuhr war endgültig klar, dass der Ex-Freund von Jenny einen kapitalen Dachschaden haben musste.
    Das bestätigte Halbedel postwendend, weil er seine künstlerische Einlage unterbrach und die unter ihm postierten Polizeikräfte in schlichterer Art und Weise zum Eingreifen aufforderte. »Nun schießt doch endlich, ihr Feiglinge, oder wollt ihr euch die Beine in den Bauch stehen? Ihr braucht einen Täter. Irgendeinen. Ich bin anders als ihr. Ein Künstler. Alles, was ihr kleinbürgerlichen Staatsbewahrer euch nicht vorstellen könnt oder wollt. Ich habe immer gegen euch gehalten. Auf der Schanze, in Kreuzberg, und selbst in

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