Friesenschnee
er wegen einer angeblichen unehelichen Tochter dort eine ehemalige Geliebte getroffen hatte?
Fragen über Fragen, die ihr Helge noch beantworten musste, bevor sie zum letzten Mal seine Wohnungstür hinter sich zuziehen würde. Zudem hatte diese Angelika vor ihnen quicklebendig im Bett der Fürstensuite gelegen. In ihren Augen war es lediglich eine fade und unscheinbare Frau, aber Männer ticken in dieser Beziehung ja völlig anders. Das hatte sie leider immer wieder mit Robert und Patrick erlebt und selbst bei Lollo feststellen müssen.
Drei lange Stunden quälte sie sich bereits im Wohnzimmer herum, und ihre Finger trommelten immer wieder unruhig auf dem vor ihr stehenden gepackten Koffer. Sicherlich würde es einige Zeit benötigen, bis ihr tief versumpfter Helge wieder fest auf beiden Beinen stehen konnte. Sollte sie tatsächlich noch so lange in dieser Wohnung verharren, die seit Helges Heimkehr nicht mehr die ihre war? Sie war sich nicht sicher.
Für eine normale Frau wie sie war Helges Wesensverwandlung vom Kavalier zum egoistischen Lügner und Starrkopf kaum nachvollziehbar. Sie fühlte sich wie ein ausrangiertes Spielzeug. Aber das kannte sie schon von früher. Als attraktive Blondine war sie eigentlich lebenslang mehr oder weniger auf der Flucht vor geltungssüchtigen Männern. Der Ablauf war fast immer der gleiche. Erst schmückten sich die Männer mit ihr, und dann musste schnell neues Spielzeug her. Aber diese Spielchen machte sie schon lange nicht mehr mit.
Das Knacken im Flur ließ Jenny erschrecken, aber es handelte sich nur um Helge, der mit unkoordinierten Bewegungen im Halbschlaf die Toilette aufsuchte.
Zufrieden stellte sie lediglich die Tatsache, dass er trotz geistiger Abwesenheit wenigstens im Sitzen pinkelte. Allerdings war es erstaunlich, welche Mengen von Flüssigkeit er in das Becken bugsierte. Dann schaffte er es sogar noch, den Spülhebel zu betätigen, bevor er das Bad wieder verließ. Das laute, dumpfe Geräusch ließ vermuten, dass er wieder der Länge nach ins Bett gefallen sein musste.
Natürlich, manchmal zweifelte sie daran, ob auch sie alles richtig gemacht hatte. Die eine oder andere kleine Notlüge hatte sie Helge schon auftischen müssen, als er mehr und mehr wegen Robert und Patrick nachbohrte. Aber das hatte sie ausschließlich getan, damit Helge sich nicht verunsichert fühlte.
Und natürlich kannte sie das kleine Flittchen, das es unter dem Wasserturm erwischt hatte. Kerstin Kramer, den Namen würde sie nie vergessen. Schließlich hatte Robert ungefragt nicht nur von den wilden Nächten mit ihr berichtet, sondern auch von der Kokserei bei ihr. Selbst von dem Zusammenstoß mit ihrem Vater.
Doch Jenny kannte Helge nur zu genau. Er hätte ihr mit Sicherheit diesen kleinen Kommissar auf den Hals gejagt, und am Ende des Tages hätte sie als elegante Dame vermutlich den ganzen Dreck abbekommen, der aufgewirbelt worden wäre. Nein, es war schon richtig, Helge nicht jedes Detail preiszugeben.
Zudem hatte sie mit Lollo nur ganz zu Beginn ihrer Freundschaft einmal geschmust, als sie noch mehr männliche Anteile in ihm vermutete. Da sie die aber bei ihm nicht einfordern konnte, wendete sie sich kurzfristig Patrick zu. Sie musste zunächst lachen über die Kurzform seines Namens, aber Pimmel wurde er nicht zu unrecht genannt. Es war nur schade, dass in diesem Körperteil bei ihm auch noch Gehirn und Gefühl eingepfercht waren.
Schon nach wenigen Tagen war mit Patrick Schluss, und so erwies sich am Ende zunächst Robert als die solideste Lösung. Abends spielten sie Theater, nachts zogen sie um die Häuser und morgens schliefen sie lange aus. Lollo hatte in der wüsten Zeit viele Fotos gemacht.
Erst spät bekam sie mit, dass Robert und Patrick bisweilen mit Rauschgift handelten. Selbst Lollo machte manchmal mit, obwohl er bereits mit Falschgeld erwischt worden war. Daraufhin hatte sie sich von der Theatergruppe abgesetzt und ihre Schauspielambitionen beerdigt.
Aber in der letzten Zeit hatte Lollo immer wieder bei ihr angeklopft und nachgefragt, ob sie nicht bei der Truppe aushelfen könnte. Da man in der Erinnerung immer zunächst an die schönen Stunden denkt, hatte sie vorschnell eingewilligt. Nun kam alles wieder hoch.
Offenbar auch bei Helge, wie sie jetzt Würgegeräuschen entnehmen konnte. Doch das störte sie nicht mehr. Mit Helge war sie durch. Sie blickte zur Uhr: 9:30. Sie würde sich zum Schauspielhaus fahren lassen und ihre Sachen dort zunächst
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