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Friesenschnee

Titel: Friesenschnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Antwort und kam sofort zur Sache, denn er war noch mit der Kollegin Schlenderhahn auf ein Eis in der Kantine verabredet. Kleines Schleckermäulchen, hatte sie ihm nach seiner Einladung schelmisch zugerufen. Wenn das keine Perspektiven aufzeigte?
    Aber zunächst musste er das Elend mit Stuhr hinter sich bringen. »Ich habe hier einen Brief vorliegen, der Aufschluss über den Hintergrund deiner Dienstunfähigkeit bringen könnte.«
    So recht konnte Stuhr die Sache nicht glauben, denn er machte sich lustig über die Landesverwaltung.
    »Ein Papier also. So, so. Die Mühlen der Verwaltung mahlen langsam, aber sie mahlen. Ich höre.«
    Dreesen konnte nicht umhin, seinen ehemaligen Chef zu belehren. »Ich weiß nicht, was in dich gefahren ist. Du weißt doch am besten, dass wir mit unseren Pappgittermappen ein wunderbar funktionierendes Kommunikationssystem haben. Wenn etwas eilbedürftig ist, dann kann man die roten Mappen wählen, bei denen man sogar noch das kleine Fähnchen ›Heute‹ herausklappen kann. Der Verwaltungsvollzug ist damit bei uns bestens gewährleistet.«
    Ungläubig antwortete Stuhr. »Das ist doch nicht dein Ernst, Dreesen?«
    Es war aber Dreesens voller Ernst. Er konnte nicht umhin, Stuhr abermals zu belehren. »Du kannst dir vermutlich überhaupt nicht vorstellen, was hier abgeht. Im nächsten Jahr soll ein neues zentrales Personalverwaltungssystem kommen. Hunderte von Arbeitsgruppen sind gegründet worden, damit bei der Einführung ja nichts übersehen wird. Vermutlich soll das neue System die Leute auf Knopfdruck selbst einstellen. Dabei ist das blanker Unsinn, wenn man versucht, historisch gewachsene Arbeitsabläufe und liebgewonnene Gewohnheiten mitsamt interner Absprachen in ein neues, gefühlloses, papierloses System zu übertragen. Das wird niemals funktionieren.«
    »Na ja, ihr alten Verwaltungshengste werdet schon genug verschriftlicht haben, um das Projekt abzueseln«, spottete Stuhr.
    »Richtig, das haben wir. Aber dieses Mal wird es schwieriger, denn das neue Personalverwaltungssystem soll gleichzeitig in Schleswig-Holstein und Hamburg eingeführt werden. Für Bewerber wird es da bestimmt einen Auswahlknopf geben: Fischkopf oder Hanseat.«
    Stuhr lachte lauthals los.
    Doch Dreesen war noch lange nicht am Ende. »Spaß beiseite. Ich prophezeie dir: Sie werden das Projekt mit dem Blick auf beide Länder politisch durchdrücken. Natürlich wird das alles so nicht funktionieren. Um das Projekt zum Erfolg zu bringen, werden sie zum Schluss wieder zum King-Kong-Prinzip übergehen.«
     
    Stuhr schwieg. Mit diesem Begriff schien er nichts verbinden zu können.
    Also blieb Dreesen nur übrig, seine sprachliche Eigenschöpfung erklärend zu übermitteln. »Das King-Kong-Prinzip ist selbsterklärend. Nach langwierigen Auswahlverfahren wird man sich wie immer für das größte und komplizierteste Programm entscheiden. Das ist wie bei einer Affensuche. Eigentlich wird nur ein kleiner, beweglicher Affe benötigt, aber eingekauft wird vorsichtshalber King-Kong.
    Man wird schnell feststellen, dass der viel zu groß ist und nicht in den vorgesehenen Affenkäfig passt. Dann gehen fieberhafte Überlegungen los. Wie bekommt man das Monster in den kleinen Käfig? Nun, King-Kong muss ein wenig amputiert werden, und der Käfig wird vergrößert und verstärkt. Wenige Jahre und ein paar Millionen Euro später passt der vor sich hinvegetierende King-Kong in den neuen Käfig, und alle sind zufrieden. Das Projekt wurde, wie alle erwartet haben, erfolgreich beendet. Genauso wird es mit dem neuen Personalverwaltungssystem laufen, glaube mir.«
    »Das mag ja alles sein, Dreesen. Dennoch, hast du nicht schon einmal etwas von der elektronischen Akte gehört? Eine einzige Eingabe auf der Tastatur, und sofort springt dir auf dem Bildschirm der gewünschte Vorgang entgegen.«
    Die Antwort entsetzte Dreesen, denn Stuhr schien immer noch nichts begriffen zu haben. »Mensch, Stuhr, wovon träumst du nachts? Denkst du denn, ich bin von vorgestern? Ich schwöre dir, eine Eingabe am Bildschirm, und nichts hättest du gefunden. Wenn dieser mir vorliegende brisante Vorgang elektronisch gespeichert worden wäre, dann wäre er mit Sicherheit längst gelöscht worden.«
    Stuhr versuchte sich zu verteidigen. »Das mag ja sein, Dreesen, aber Papierakten kann man genauso durch den Reißwolf jagen.«
    »Richtig, Stuhr. Doch was bei der elektronischen Akte auf Knopfdruck geht, das verursacht bei unseren Aktenbergen erheblichen

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