Frisch gepresst: Roman (German Edition)
angebliche Anästhesist.
»Wenn’s wirkt, sind Sie ein Freund fürs Leben«, versuche ich ihn auf meine Seite zu ziehen. »Ist das ’ne Drohung oder ein Versprechen?« Ha, kleiner Witzbold. Vom Typ her eher Modell Barmann in Szene-Kneipe. Koteletten, coole Ausstrahlung. Sieht an sich nicht schlecht aus, der Herr Doktor. »Herr Doktor, das können Sie sehen, wie Sie wollen«, versuche ich einen kleinen Flirt. »Ich bin kein Doktor«, erklärt er mir knapp. Na prima. Ein Nicht-Doktor bohrt mir gerade eine riesige Spritze ins Rückenmark. Angeblich eh irre gefährlich. Das ist wahrscheinlich die Strafe dafür, daß ich in diesem Zustand noch meine Unwiderstehlichkeit testen wollte, der selbst bei vollem Make-up-Einsatz natürliche Grenzen gesetzt sind. Als mir eine leicht fettige Haarsträhne beim Rückenkrummachen ins Gesicht fällt, wird mir bewußt, daß meine Chancen zur Zeit, realistisch betrachtet, gen null streben. Mein Krankenhauskittelchen, hinten modisch geschlitzt, bedeckt gerade mal meinen Riesenbauch, und der Nicht-Doktor hat freien Blick auf meinen leider leicht verpickelten Po. Ich muß dringend mal wieder ein Körperpeeling machen. »So, jetzt müßte es Ihnen gleich bessergehen«, strahlt mich der Beau an.
Er hat zwar keinen Doktor, aber der Mann sagt die Wahrheit. Die Schmerzen lassen nach. Sie sind nicht verschwunden, aber irgendwie eingedämmt. Phantastisch; was für eine Erfindung! Ein Wunder. Komm her, du PDA -Entwickler, und laß dich küssen. Warum habe ich mich bloß so lange gequält? Weil ich eine perfekte Gebärerin sein wollte.
Na, dann bin ich eben keine.
»So, und jetzt der Endspurt, Frau Schnidt«, grummelt der Muffkopp. Die Kreißsaallampen blitzen auf, Christoph, mit einem Rest Cappuccinoschaum im Mundwinkel, hastet herbei. »Walfischchen, alles wird gut.« Wie mich das beruhigt, unglaublich. Doch seit der PDA glaube ich sowieso, daß ich eine Chance habe, diesen Vorgang hier zu überleben. »Leichter wird’s jetzt nicht, wer die Wehen nicht mehr richtig spürt, dem fehlt auch das richtige Gefühl fürs Pressen«, mahnt der gestrenge Wiedmann. Dann presse ich es eben gefühllos heraus. Beim vierten Mal schreit Christoph: »Ich sehe die Haare, es kommt, es kommt.«
Es hat Haare; phantastisch, das gibt Auftrieb. Mit Haaren macht so ein Kind einfach mehr her. Haare, ein echtes Statussymbol bei Neugeborenen. »Hat es Locken?« frage ich voller Verzücken. Bevor man mir antwortet, geht ein Ruck durch mich. So etwa wie bei Alien 2, als Signourey Weaver sich wie verrückt windet, weil das Monster von ihr Besitz ergriffen hat.
Und dann Erleichterung.
Man knallt mir etwas Glitschiges, nicht direkt Ansehnliches auf den Bauch. Aber: ein Alien ist es nicht. »Frau Schnidt, Glückwunsch, Sie haben ein Mädchen.«
Immerhin, vom Besten. Lackschuhe, gemeinsame Frauenabende und Mascarasharing. Mädchen sein ist eine bekannte Größe, und ich gebe zu, ich hab mir eins gewünscht. Als ich einen Blick auf meine Tochter werfen will, einen gründlichen von Frau zu Frau, von Mutter zu Kind, ist sie auch schon wieder weg. Apgar-Werte müssen her, eine Art erste Inspektion. Dr. Wiedmann fuddelt an ihr, meinem Kind, herum. Das arme Ding. »Die restliche Welt riecht besser«, will ich schreien, »legen Sie es weg, sonst kriecht es vor Entsetzen noch zurück« und »Baby, nicht alle Männer sind so«, aber ich verkneife es mir. Schließlich bin ich sensibel. Jedenfalls manchmal.
»4150 Gramm, 54 Zentimeter, Kopfumfang 36«, mit diesen Worten übergibt Wiedmann die Kleine an Christoph. Der guckt, als wäre eben ein Ufo mitten im Kreißsaal gelandet, und stammelt: »Danke, danke, oh, wie süß.«
Wiedmann verteilt die Aufgaben. »Sie und Angie baden das Kind, während ich mal schnell wieder zunähe.«
Oh Gott, er meint mich. »Machen Sie ruhig dauerhaft zu«, scherze ich, er grinst nicht einmal. Stumm streiche ich das Deo. Der kriegt gar nichts. Basta.
»Wie soll sie denn heißen?« – eine Frage an uns junge Eltern.
»Claudia«, sage ich. »Aha«, meint Dr. Wiedmann, »Claudia, was Bodenständiges.«
»So, finden Sie.« Mir doch wurscht, was dieser Depp denkt. In Begeisterungsstürme wird bei diesem Namen keiner ausbrechen. Das ist mir klar. Was soll’s. Christoph, immer gerne nahe dran am Trend, wollte selbstverständlich so was wie Anna, Marie oder Lisa. Keine häßlichen Namen, mit Sicherheit, aber irgendwie langweilig. So wie Max, Sebastian und Alexander. Wer sich heute vor einen Kindergarten
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