Frisch gepresst: Roman (German Edition)
Tonfall, als könnte sie die Welt nicht mehr verstehen. »Als der Mischi erzählt hat, daß er dich nicht nur von hier, sondern noch von der Schule kennt, habe ich mich so gefreut.«
Ich bin absolut fassungslos und froh, als Christoph vor der Tür steht. Er ist über Sabines Anwesenheit etwa so verwundert wie ich: »Geht es dir nicht gut, Sabine, oder warum bist du hier?« »Ich besuche meinen Freund«, erläutert sie Christoph in knappen Worten die Situation. In manchen Dingen ist er schlicht geschickter als ich. Er fragt nicht nach. Murmelt ein »Ach so, na dann« und wünscht den beiden Turteltäubchen noch einen »Schönen Tag«. Cool.
Für einen Mann, der genau weiß, daß Sabine bis vorgestern keinen Freund hatte und an sich auf Männer eines anderen Kalibers abfährt. Souverän reagiert. Mit einem verwirrten »Bis später« ziehe ich mich aus Behandlungsraum 3 zurück. Diese Misere muß ich mit Sabine allein besprechen. Vielleicht ist sie auch nur schlau. Und der Mett-Mischi der unterschätzteste Kerl unserer Stufe gewesen. Möglicherweise ist Sabine die erste Frau, die seinen wahren Wert erkennt. Nach seiner Mama selbstverständlich.
Jetzt erst sehe ich sie. Die wunderschönen Blumen. Ein absoluter Traumstrauß. Riesig. Geschmackvoll. Und das in Christophs Armen. Endlich mal eine Anerkennung, die in die richtige Richtung geht. »Die sind wunderschön, mein Schatz«, freue ich mich und strecke erwartungsvoll die Arme aus. »Willst du sie Schwester Huberta geben, oder soll ich im Schwesternzimmer vorbeigehen?« fragt mich Christoph.
Neid ist keine Tugend, aber: Er kennt diese Frau noch nicht mal eine Woche, sie hat eine verdammt haarige Oberlippe, und sie bekommt trotzdem wesentlich schönere Blumen als ich in den vergangenen Jahren.
»Ich bringe sie ihr«, zische ich ihn an. »Hole du Claudia und verstau sie in der Tragetasche. Ich will heim.« Jetzt guckt er schon wieder doof. Als hätte ich mich nicht klar und deutlich ausgedrückt. Was der heute wieder nervt. Ich schnappe mir die Blumen und mache mich ab in Richtung Schwesternzimmer. Schwester Huberta ist nicht da. Aber Glitschmaul Christel strahlt mich an. Oder ist es der Blumenstrauß? Statt mutig zu sein und zu sagen: »Die sind für Schwester Huberta«, stammle ich was von »Vielen lieben Dank an das Team« und ärgere mich über meine mangelnde Courage.
Im Flur wartet der gerüffelte Christoph. Mit der Tragetasche. »Können wir?« frage ich, und er nickt nur. Auch angenervt. Das ist der Oberknaller. Männer machen Mist und sind nachher noch beleidigt. Nicht etwa betroffen von ihrer eigenen Unzulänglichkeit. Nein, ganz schlicht beleidigt. Bitte schön. Ich kann auch sauer sein. »Hast du das Kind?« kläre ich kühl das Wichtigste. Zurück in meinem Zimmer umarme ich Frau Tratschner und nicke Frau Özgür zum Abschied noch mal ermunternd zu. Dann verläßt die neue Kleinfamilie die Station. Auszug. Im Lift das erste Geschrei. Eindeutig aus unserer Tragetasche. Phantastisch. Das kann ja heiter werden. Nur der Ton gefällt mir nicht. Geschrei ist generell nicht mein Fall, aber dieses ist mir auch noch komplett fremd. Die Tonlage. Das, was da aus unserer Tragetasche brüllt, kann alles sein, aber nicht unser Kind. Oder verändern die ihre Stimme sofort mit dem Verlassen der Entbindungsstation? Entsetzt reiße ich dem Wurm die Decke weg. Christoph hat doch tatsächlich das falsche Kind eingepackt. Und noch nicht mal ein schöneres. Eher im Gegenteil. Ich versuche die Beherrschung nicht zu verlieren. »Hat dir dieses Baby besser gefallen, oder sind es versteckte kriminelle Energien, die in dir wachgeworden sind?« Ich könnte ausrasten: »Mein Gott! Du hast das falsche Kind eingepackt, du Volltrottel!« Ein Raunen geht durch den Lift. Verschreckte Gesichter. Wirft man sich in solchen Situationen nicht auf den Boden? Wird der miese Kindsentführer schießen? Wartet im Erdgeschoß schon die GSG 9, um das unschuldige Ding aus den Klauen des Verbrechers zu erretten?
Eins tröstet mich schon jetzt: Diese Geschichte, schön ausgeschmückt, kann jahrelang der Renner auf Parties werden. Da hat er was zum Abarbeiten. Christoph, sowieso kein Fan von öffentlichen Auftritten, ist zerknirscht. Komplett blamiert. »Bist du sicher?« fragt er mich auch noch. Ich kann nur schreien: »Hol mir mein Kind« und weigere mich entschieden, die peinliche Umtauschaktion mitzumachen. »Ich warte hier unten bei der Cafeteria«, teile ich ihm mit und schiebe ihn mit diesen
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