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Fritz Neuhaus 03 - Nichtwisser

Titel: Fritz Neuhaus 03 - Nichtwisser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Senf
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in der Patisserie eine Tüte mit Baisers. Sie krachten, wenn man hineinbiss. Der Dicke neben mir verschluckte sich. Die Baisers waren sehr feinkrümelig. Ein Krümel war ihm in die Luftröhre gekommen. Er hustete den halb zerkauten Baiser auf den Vordersitz. Der Tangotänzer wischte sich die feuchten Krümel vom Kragen.
    Es war der letzte Kuss für Marc Poulet und Betty.
    »Jetzt haben Sie genug gesehen.«
    Der Tangotänzer betätigte einen Knopf. Ganz in der Ferne stieg eine Rauchsäule auf. Die Benzinkanister waren explodiert. Das belastende Material verbrannte. Die Pornos verglühten. Niemand kam zu Schaden. Die Beweise waren vernichtet. Marc Poulet und Betty konnten an die Himmelspforte klopfen.
    Übrig blieben Gerüchte. Die Saarländer lieben Gerüchte, die fast wahr sind. Aber nie wahr wurden. Verhüllte Nacktheiten waren schon immer nackter als völlig Nackte. Die Ermittlungen förderten Schauerliches zutage. Das Volk lechzte nach Verwerflichkeit im Halbdunkel.
    »Kein Verlust. Experimente kann man wiederholen.«
    Er polierte manisch seine Fingernägel.
    »War ja eine ziemlich brüske Sache mit Poulet und Betty.«
    »Er war immer fürs Harte.«
    Der Dicke drückte mir ein Tuch mit Chloroform getränkt auf die Nase. Ich konnte mich nicht wehren. Er war sehr stark. Bruchlandung, dachte ich noch. Schwarze Mauer.

20
    Ich spielte als Kind gerne Kasperletheater. Ich öffnete ganz weit die beiden Schranktüren und spannte eine Kordel, an die ich einen Vorhang hing, den ich in der Mitte auseinanderziehen konnte. Den Hintergrund bildete ein Prospekt, auf den ich mit Wasserfarben eine Landschaft mit großer, gelber Sonne, ein Haus, aus dem dicke Rauchwolken stiegen, und einen blauen Fluss mit Bäumen gemalt hatte, der sich durch eine saftig grüne Wiese schlängelte.
    Meine Lieblingsfiguren waren das Kasperle, das Gretchen und das Krokodil. Das Gretchen musste vor dem Krokodil nach langen Abenteuern vom Kasperle gerettet werden. Immer wieder. Es gab ganz selten einen Zuschauer. Manchmal ein Kind, das warten musste, bis Mama mit der Anprobe des Mantels fertig war.
    Es war stockfinster um mich herum. Welches Krokodil würde mich fressen? Und welches Kasperle würde mich retten? Ich war nicht Gretchen. Ich war voll gegen die Wand gefahren. Es herrschte vollkommene Stille. Ich rief. Kein Echo. Nichts.
    Licht flammte auf. Gleißend. Ein weiß gekachelter Raum hinter Glas. Es war einer dieser Folterräume. Ich lag auf dem Betonboden. Ich erhob mich und tastete nach der Pistole. Sie war nicht mehr in meiner Hosentasche. Das Tonband in meinem Hemdkragen hatten sie auch entdeckt.
    Der Dicke betrat den Raum. Er kaute auf seinen Fingernägeln. Martha Klein wurde von dem Tangotänzer in den grell beleuchteten Raum geschoben. Sie wehrte sich mit Händen und Füßen. Sie fand mit den Füßen nirgends Halt auf den glatten Fliesen. Es war urkomisch, wie ihr immer wieder die Füße wegrutschten. Sie fingerte und griff nach allem, um sich festzuklammern. Aber da war nichts. Sie schrie. Ich hörte sie nicht. Ein stummes Schreien aus einem weit aufgerissenen Mund. Sie wusste, was ihr bevorstand. Der Dicke war sehr geübt. Er griff blitzschnell zu, als der Tangotänzer Martha Klein an ihm vorbeizerrte. Ein kurzer Ruck. Dann stürzte sie mit gebrochenen Halswirbeln.
    Wieso hatten wir Mlasec verdächtigt? Nur wegen seiner miesen Visage?
    Die Genickbruchsnummer war perfekt. Ganz lässig, ohne Aufwand. En passant, ganz nebenbei. Sie verließen den Raum. Martha Kleins Mund war weit geöffnet.
    Mein Schrank hatte sich ausgedehnt bis zur Größe eines Forts. Auch keine schlechte Lebensleistung. Ich war hier, als wäre ich schon immer hier gewesen, mit einer toten Frau hinter Glas, eingeschlossen in meterdickem Beton.
    Ich ging an die Glasscheibe. Ich betrachtete die tote Frau. Sie hatte lange, schwarze Haare. Eine sehr weiße Haut. Sie trug einen schwarzen Stoffmantel. Darunter einen schwarzen Rollpulli. Schwarze Strümpfe. Als wollte sie zu einer Beerdigung. Sie lag auf dem Rücken und starrte an die Decke. Mit dem offenen Mund. Keiner würde sie ins Leben küssen. Ich war kein Prinz. Schneewittchen lebten woanders.
    Ich verspürte keine Panik. Eher ein gewisses Interesse an meiner Person. Ich stand in einem riesigen Bunker, dessen Kriegsbesatzung vergeblich auf den Kampf gewartet hatte. Es wollte niemand mit ihnen kämpfen. Man umging die Soldaten. Die Vorräte reichten für
    drei Monate. Wie lange würden sie für mich reichen? Wie sahen sie

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