Joshua Fantasio & Kalitos Legende und der schwarze Zeitmesser (German Edition)
Kapitel 1
Fernweh
A lles begann in einer alten Grafschaft im hohen London, ganz in der Nähe des Brookmanns Parks.
Das Bild des alten Stadtviertels spiegelte eine Zeit wider, die eigentlich schon längst vergangen war. Seine alten Bauten, die hübschen Fachwerkhäuser und nicht zuletzt das ruhige Gemüt ihrer Bürger mussten auf Fremdlinge wie eine Reise in die Vergangenheit wirken. Hier schien die Zeit für eine große Weile still stehen geblieben zu sein.
An jenem späten Frühlingstag war halb Britannien von einem dunklen Wolkenband eingeschlossen. Seine glitzernde Regenpracht fiel unaufhörlich auf die Erde hernieder und das dumpfe Grollen der Donnerschläge war weit in der Ferne zu hören. Das dunkelgraue Wolkengebilde hatte sich schon vor zwei Tagen über dem Londoner Frühlingshimmel ausgebreitet und seine düsteren Wolkenarme weit ausgeworfen; sie reichten bis an den Horizont.
Der ganze Brookmanns Park war an jenem Sonntagnachmittag in einen dunklen Regenschleier eingehüllt und nichts schien sich dem Unwetter entgegen stemmen zu wollen. Aber ab und zu blinzelten die gelben Strahlen der Sonne doch durch die dicke Wolkenwand und brachten nicht nur das kleine Stadtviertel für einen Augenblick zum Leuchten, sondern auch das Gemüt jenes Jungen, den alle den kleinen Zauberer nannten.
Joshua saß trübsinnig vor seinem Zimmerfenster und beobachtete die silberhellen Regentropfen, die leise an sein Fenster klopften. Er trug einen roten spitzen Hut und ein dazu passendes Kostüm in gleicher Farbe mit gelben, aufgenähten Manschettenknöpfen. Die Ärmel waren ihm viel zu kurz, aber seine dünnen Arme passten trotzdem halbwegs hinein.
„ Wie soll ein Zauberer bloß zaubern, wenn die ganze Welt im Wasser versinkt ?“, dachte er säuerlich und betrübt, aber dennoch nicht ganz hoffnungslos, denn innerlich glaubte er noch fest daran, dass das Wetter bald wieder umschlagen würde; seit den frühen Morgenstunden wartete er darauf.
Von seinem Zimmerfenster aus konnte er den alten Marktplatz sehen, wo an jenem Sonntag ein großer Jahrmarkt aufgebaut war. Bunte Lichter glühten verschwommen an vielen Buden und Ständen, und der Duft von honigsüßen Waffeln wehte bis an sein Fenster heran. In der Mitte des Platzes stand ein riesengroßer, aufblasbarer Clown, dessen dünne buntbemalte Gummihaut schon ganz bleich geworden war. Er musste schon auf vielen Jahrmärkten gestanden haben.
D ie Besucher waren schon längst vor dem Regen geflüchtet, und die Verkäufer und Spielbudenbesitzer verstauten hastig ihre Waren in Kisten und zurrten die Planen ihrer Stände und Fahrgeschäfte fester. Sie rechneten wohl alle mit einem aufkommenden kleinen Sturm oder gar einem Unwetter.
Joshua rieb sich fröstelnd die Arme und zog sich sein rotes Gewand enger um seinen Leib. Das Zaubererkostüm hatte er zu seinem elften Geburtstag bekommen. Fast zwei Jahre später passte ihm das Gewand immer noch recht gut, bis auf die kurzen Ärmel, die an der Mitte seiner Ellenbogen verhungerten. Joshua ließ sich davon nicht weiter stören, aber trotzdem ärgerte es ihn ein wenig, wenn sich die zwei kleinen dicken Nachbarjungen deswegen über ihn lustig machten. Er hatte ihnen deshalb schon öfters eines auf die Nase gegeben, auch wenn sie ein paar Jahre jünger waren als er und er jedes Mal mächtig Ärger von seiner Mutter bekam, weil die beiden dicken Nachbarkinder immer sofort petzen gingen. Sein Vater fand es insgeheim ganz gut, wenn die frechen Bengel von nebenan mal etwas hinter die Ohren bekamen, aber das durfte er seiner Frau natürlich nicht erzählen.
Joshua hätte sich auch ein neues Kostüm kaufen können, aber er hatte einmal in einem Buch gelesen, dass es Unglück bring en würde, wenn Zauberer ihre Zauberroben wechseln würden.
Draußen im Wind braute sich etwas zusammen und Joshuas Miene verfinsterte sich.
„ Ein Zauberer wird an seiner Zauberkunst gemessen und nicht an seiner Kleidung “, dachte er und krempelte sich die ohnehin schon kurzen Ärmel noch ein Stückchen höher. Sein Blick war stur auf die dunklen Wolken gerichtet. Er zupfte sich den Zauberhut zurecht, schloss seine rechte Hand kurz zu einer Faust und öffnete sie dann wieder. Dann vollführte er eine geheimnisvolle Geste, wobei seine innere Handfläche zu den düsteren Wolken gekehrt war; dabei murmelte er ein paar leise Worte vor sich hin: „Hexen, Eulen und Krötenmacht, kommt alle herbei und schickt sie hinfort die dunkle
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