Frösche: Roman (German Edition)
und Vertreter der Wirtschaft schreiben kritische Aufsätze zu diesem Thema, in den Medien wird es heiß debattiert. Im Internet ist die Erörterung dieser Fragen noch lebhafter. Es ist zu beobachten, dass eine Erforschung der Fakten der Geburtenpolitik in den vergangenen dreißig Jahren, eine Aufarbeitung der Folgen, ein Hinterfragen der Vorfälle längst im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stehen. Im Zuge der Reformpolitik, der Politik der Öffnung und mit dem Wechsel von der kollektiv geführten Wirtschaft zur Privatwirtschaft, im Zuge der nun für alle Bauern bestehenden Freiheit, sich erstens in China frei zu bewegen und zweitens seinen Arbeitsplatz frei zu wählen, sollte man klar sehen, dass die Politik der Geburtenplanung nicht mehr durchführbar ist. Die Bauern auf dem Land können den Ort frei wählen, an dem sie ein Kind zur Welt bringen lassen möchten, ob es nun die eigene Frau zur Welt bringt oder jemand anderes, sie können es auch heimlich tun, natürlich gilt das auch für die Frauen, die verheirateten oder die nicht verheirateten. Die Reichen wie auch die bestechlichen Regierungsbeamten nutzen gern die Möglichkeit, Bußgelder zu zahlen, oder sie verlassen sich bei der Vermehrung ihres Nachwuchses auf Zweit- und Drittfrauen. Unverhohlen und nach persönlichem Belieben bringen die Chinesen heutzutage überzählige Kinder zur Welt, um der Familie männliche Nachkommen zu schenken oder um einen Erben für ihr Familienunternehmen zu haben, damit das Vermögen in der Familie bleibt. Wahrscheinlich sind es nur die schlechtbezahlten kleinen Beamten, die sich noch an die Ein-Kind-Politik halten. Sie fürchten den Verlust des Arbeitsplatzes, und sie haben Schwierigkeiten, das Schulgeld für mehr als ein Kind zu zahlen. Selbst wenn es legitim wäre, zwei Kinder zu haben, würden sie es sich nicht zutrauen.
Meine Frösche schildern dreißig und mehr Jahre unserer chinesischen Geburtenpolitik vor dem Hintergrund der Lebens- und Arbeitsumstände der Ärztin Gugu.
Ich habe kein Blatt vor den Mund genommen und nichts verschleiert, auch wenn ich chaotische Zustände geschildert habe.
Es ist immer mein Ziel, mit meiner Literatur heikle Themen anzusprechen, denn ich finde, dass die Literatur und der menschliche Geist sich mit den Problemen der Menschen, ihren Leiden und ihrem Schicksal befassen sollten. Die Erörterung heikler Themen führt zumeist am schnellsten an den Ort der menschlichen Seele, der den wahren Charakter eines Menschen zeigt.
Man braucht für heikle Fragen Mut, man braucht gute Fähigkeiten, sich schriftlich zu äußern, aber man braucht genauso das ehrliche Schriftstellergewissen.
Die Literaturszene Chinas verlangt von den Schriftstellern, heikle Themen anzusprechen. Andernfalls rügt die Szene sie, im Kielwasser der einflussreichen Funktionäre zu schwimmen und sich von ihnen kaufen zu lassen.
Aber wenn der Autor sich heiklen Fragen widmet, ist er der Kritik ausgesetzt, und man rügt ihn der Liebedienerei gegenüber dem Westen.
Eine Zeitlang habe ich mir alle Mühe gegeben, nirgendwo anzuecken, denn ich fürchtete die Peitsche der ewig Selbstgerechten. Aber in letzter Zeit wird mir immer mehr klar, dass diese mich auch, wenn ich keinen einzigen Satz mehr schriebe, nicht in Ruhe ließen. Denn meine Literatur fühlt ihnen auf den Zahn, und ich bin schon lange der Feind solcher Leute.
So habe ich nun beschlossen, sie einfach hinter mir zu lassen, sie abzuschütteln und meinen eigenen Weg zu gehen. Nur meinem Gewissen Rechenschaft schuldig, suche ich mir die Themen aus, über die ich schreiben möchte.
Meine Ansichten über die Romanästhetik entscheiden über die Form. Eine Offenheit wie auf einem Seziertisch ist gefordert, wenn ich die Seelen und die Charaktere meiner Romanfiguren in meinen Büchern lebendig werden lasse und genauso mich, mein Innerstes in meinen Büchern offenlege.
Als ich mein Buch Frösche fertiggestellt hatte, lasteten mir acht steinschwere Schriftzeichen auf dem Herzen. Sie lauten:
他人有罪,我亦有罪
Wenn andere sich eines Verbrechens schuldig machen,
bin ich mitschuldig .
22. November 2009 in Pingan, Peking
Über den Autor
Mo Yan wurde 1956 in Gaomi, Provinz Shandong, geboren. In Deutschland wurde er 1993 mit dem Roman Das rote Kornfeld bekannt. Mo Yans Werke wurden weltweit übersetzt und mit vielen Literaturpreisen ausgezeichnet. Für seinen Roman Frösche (Hanser 2013) erhielt er 2011 den Mao-Dun-Literaturpreis. Mo Yan ist Träger des
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