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Frösche: Roman (German Edition)

Frösche: Roman (German Edition)

Titel: Frösche: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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    Ich möchte Ihnen bei dieser Gelegenheit noch berichten, dass mein Vater mich heute anrief und mich wissen ließ, dass die alte krumme Ume auf unserem Hof, die Sie ein eigenwilliges Talent nannten, seit dem 25. des ersten Mondmonats tiefrot in voller Blüte steht. Unser Hof war an jenem Tag voller Leute, die gekommen waren, um sich an den Blüten zu erfreuen. Auch meine Tante war da. Mein Vater sagte, dass es an diesem Tag zu Neujahr dicke Flocken vom Himmel geschneit habe. Der rieselnde Schnee habe betörend nach den Umeblüten geduftet, von dem kalten Duft hätte man einen freien Kopf bekommen.
    Ihr Schüler Kaulquappe
    Peking, 21. März 2002

1
    Lieber Yoshito Sugitani san,
    wissen Sie, bei uns ist es Brauch, den Kindern Namen von Körperteilen zu geben. Zum Beispiel Chen Nase, Wu Dickdarm, Sun Schulter ... Wie sich dieser Brauch entwickelte, weiß ich nicht. Ein Grund ist wahrscheinlich, dass man glaubte, ein Kind mit schlichtem Namen sei besser vor bösen Geistern und schlechtem Karma geschützt. Oder aber, dass die Mutter ihr Kind für ihr eigen Fleisch und Blut hielt und glaubte, dass es einem Körperteil von ihr entstamme. Heutzutage ist dieser Brauch aus der Mode gekommen. Die jungen Eltern wehren sich dagegen, den eigenen Kindern solch merkwürdige Namen zu geben. Sie bevorzugen die ungewöhnlichen und vornehmen Vornamen der Figuren aus den hongkong-chinesischen, taiwanischen und sogar japanischen und koreanischen Fernsehserien. Die ehemals nach Körperteilen Benannten haben fast alle neue Namen bekommen. Natürlich gibt es auch welche, deren Namen so geblieben sind – Chen Ohr und Chen Augenbraue zum Beispiel.
    Der Vater der beiden ist Chen Nase, mein Klassenkamerad aus der Grundschule und mein bester Freund aus Kindertagen. Es war in der Zeit der großen Hungersnot, im Herbst 1960, als wir in die Dayanlan-Grundschule kamen. Alles, an das ich mich aus jenen Jahren erinnere, hat mit Essen zu tun. Auch die Geschichte vom Kohlenessen gehört dazu. Viele Leute meinen, ich würde irgendwelche Geschichten erfinden. Aber ich schwöre bei dem guten Namen meiner Tante, dass ich nicht lüge. Alles hat sich nachweislich so zugetragen.
    Da gab es damals eine Tonne erstklassiger Kohlen aus dem Longkou-Kohlebergwerk. In ihren Bruchflächen konnte man sich spiegeln, so glänzten die. Ich habe nie wieder so glänzende Kohlen gesehen. Der Dorfkutscher Wang Bein kutschierte sie mit dem Pferdefuhrwerk aus der Kreisstadt ins Dorf. Er besaß ein eckiges Gesicht, einen breiten Nacken, und er stotterte. Jedes Mal, wenn er den Mund aufmachte, wurde er puterrot im Gesicht und bekam Stielaugen. Seine Kinder, Sohn Wang Leber und Tochter Wang Galle, gingen mit mir in eine Klasse. Sie waren Zwillinge, der Junge mit einem hünenhaften Körper, das Mädchen ein zierliches Püppchen. Wäre man gehässig gewesen, hätte man sie eine Zwergin genannt. Alle sagten, dass der Bruder im Mutterleib alle Nährstoffe alleine aufgesogen hätte, für die Schwester wäre nichts übriggeblieben, deswegen wäre sie so klein geblieben.
    Es war Nachmittag, wir hatten gerade Schulschluss, als es ans Abladen der Kohlen ging. Alle Kinder standen mit den Schultaschen auf dem Rücken drum herum und schauten zu. Wang Bein stand mit einer Riesenschaufel auf dem Hänger und schaufelte die Kohlen herunter, die prasselnd übereinanderfielen. Als er sein um die Hüften geknotetes blaues Tuch losband, um sich damit den Schweiß vom Hals zu wischen, bemerkte er seine beiden Kinder. Er brüllte sie sofort an: »Ab nach Haus mit euch zum Heumachen!« Wang Galle rannte auf der Stelle los – ihr Körper schwankte, ihr fehlte das Gleichgewicht. Süß! Wie ein Kleinkind, das gerade laufen lernt. Wang Leber dagegen lief nicht, er wich zurück, duckte sich. Er war stolz auf den Beruf seines Vaters. Kein Grundschüler von heute kann das erhebende Gefühl von Wang Leber nachempfinden, selbst dann nicht, wenn der Vater Pilot ist und Jumbos fliegt.
    Wenn die Pferde im schnellen Trab gingen, fuhr das große Fuhrwerk mit Getöse rasant daher, dass der Staub nur so aufflog. Vor der Deichsel hatte der Vater ein ausgemustertes Artilleriearmeepferd angeschirrt, das in der Truppe die schweren Geschütze gezogen hatte. Es hieß, dass es erfolgreiche Schlachten bestritten habe. Auf der Kruppe hatte es ein Brandzeichen. Als Riemenpferd ging vor dem Deichselpferd ein aufbrausender, störrischer Mulihengst, der sich auskannte mit Ausschlagen und Beißen. Trotz

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