Fromme Wünsche
Drive
einbog, brachten mich die Pfiffe des Verkehrspolizisten aber rasch wieder zur
Besinnung. Aus einem libanesischen Lokal holte ich mir ein belegtes Brötchen
und biß bei jedem Rotlicht in der Halsted Street hinein. Die Halsted Street
gehört zu der kürzlich sanierten North Side zwischen North Avenue und Fullerton
Street. Vier Straßen weiter nördlich, ab der Diversey Street, haben die Reichen
noch nichts mit Sanierung im Sinn. Die Häuser sind alle ein bißchen
heruntergekommen, was sich günstig auf die Mieten auswirkt. Auch mit
Parkplätzen gibt es keine Schwierigkeiten.
Oben in meiner Wohnung zog ich mein Standardkostüm
an. Inzwischen hatte ich Albert lange genug auf meinen Anruf warten lassen. Ich
nahm mir eine Tasse Kaffe mit ins Wohnzimmer und ließ mich zum Telefonieren in
den dicken Polstersessel fallen. Eine Frau meldete sich. Ich fragte nach
Albert. In näselndem Ton teilte sie mir mit, daß Mr. Vignelli in einer Konferenz
sei, aber ich könne eine Nachricht hinterlassen.
„V. I. Warshawski am Apparat. Er wollte mich
sprechen. Sagen Sie ihm, daß es später nicht mehr geht.“
Während ich wartete, trank ich einen Schluck von
meinem Kaffee und blätterte die Fortune durch.
Endlich meldete sich Albert. Seine Stimme klang noch verdrießlicher als sonst.
„Wo hast du gesteckt?“
Ich zog die Augenbrauen hoch. „Ich hab'
durchgefeiert. Sex und Hasch.“
„Hätte ich mir denken können, daß du Mamas Probleme
auf die leichte Schulter nimmst.“
„Ich nehme nichts auf die leichte Schulter, Albert.
Aber jetzt sag mal, was los ist. Sitzt Rosa auf einmal schlimm in der Klemme?
Damit du siehst, wie entgegenkommend ich bin: Ich stelle dir meine Wartezeit am
Telefon nicht mal in Rechnung.“
Ich hörte ihn heftig atmen und konnte mir genau vorstellen,
wie sein fettes Mondgesicht rot anlief. Schließlich sagte er gereizt: „Du bist
gestern im Kloster gewesen. Was hast du herausgefunden?“
„Daß der Fall ungeheuer schwer zu lösen ist. Wenn
wir Glück haben, waren die Papiere schon gefälscht, als sie dem Kloster
übergeben wurden. Heute nachmittag habe ich einen Termin beim FBI. Da kann ich
feststellen, ob sie diese Möglichkeit schon in Erwägung gezogen haben.“
„Mama hat sich's anders überlegt. Sie möchte nicht,
daß du weiter für sie tätig bist.“
Ich war wie vom Donner gerührt. Hinter meiner Stirn
begann es zu brodeln. „Wie soll ich das verstehen? Schließlich bin ich kein
Staubsauger, den man einfach so in die Ecke stellt. Ihr könnt mich doch nicht
mit Ermittlungen beauftragen und zwei Tage später sagen, ihr habt eure Meinung
geändert!“
Im Hintergrund raschelte Papier. Dann meinte Albert
blasiert: „Dein Vertrag lautet anders. Dort heißt es nur: >Das Vertragsverhältnis
kann von beiden Seiten beendet werden, ungeachtet der Tatsache, ob die
gewünschten Ergebnisse erzielt wurden oder nicht. Unabhängig vom Stand der
Ermittlungen und von eventuellen Differenzen bei der Beurteilung des Ergebnisses
ist das vereinbarte Honorar zuzüglich Spesen bis zum Vertragsende zur Zahlung
fällig.< Schick mir deine Rechnung, Victoria. Du kriegst sofort dein Geld.“
Ich kochte vor Wut. „Jetzt hör mir mal zu, Albert!
Als Rosa mich am Sonntag anrief, hatte ich den Eindruck, sie würde sich sofort
umbringen, wenn ich nicht käme. Was ist inzwischen passiert? Steckt vielleicht Carroll
dahinter? Kann sie etwa ihren Job wiederhaben, wenn sie mich dazu bringt, daß
ich die Ermittlungen einstelle?“
Reserviert erklärte er mir, Rosa habe sich am Abend
zuvor Gedanken über die Sache gemacht. Sie wisse, daß ihre Unschuld bewiesen
würde, und falls nicht, wäre sie bereit, es mit christlicher Demut zu tragen.
„Wie edel“, konterte ich sarkastisch. „In der Rolle
der verbitterten Märtyrerin kenne ich sie zur Genüge. Als willig Leidende ist
sie mir neu.“
„Nun hör aber auf, Victoria. Hast du's wirklich
nötig, deinen Aufträgen so hinterherzurennen? Schick mir die Rechnung, und
damit basta.“
Ich hatte die zweifelhafte Genugtuung, als erste
aufzulegen.
Vor Wut schäumend, verfluchte ich Rosa auf
italienisch und auf englisch. Das sah ihr ähnlich, mit mir ihre Spielchen zu
treiben! Ich war nahe dran, sie anzurufen und ihr einmal gründlich die Leviten
zu lesen. Aber wozu eigentlich? Rosa war fünfundsiebzig und würde sich nicht
mehr ändern.
Die aufgeschlagene Fortune auf dem Schoß, saß ich da und starrte hinaus in den
tristen grauen Tag. Warum wollte mich Rosa in
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