Fromme Wünsche
Wirklichkeit von weiteren
Ermittlungen abhalten? Sie war eiskalt, böse, rachsüchtig - und vieles mehr.
Eine Intrigantin war sie nicht. Es paßte nicht zu ihr, die verhaßte Nichte
nach zehn Jahren zu sich zu rufen, nur um sie Männchen machen zu lassen.
Ich wählte Carrolls Nummer. Der Anruf lief über die
Vermittlung, und ich mußte mehrere Minuten auf den Prior warten. Endlich
hörte ich seine sanfte, kultivierte Stimme. Er entschuldigte sich für die
Verzögerung.
„Macht nichts. Ich wollte nur wissen, ob Sie sich
nach unserem Gespräch noch mit meiner Tante unterhalten haben.“
„Mit Mrs. Vignelli? Nein. Warum fragen Sie?“
„Sie hat plötzlich beschlossen, daß wegen der
gefälschten Papiere keine Untersuchung stattfinden soll, jedenfalls nicht auf
ihr Betreiben. Ich frage mich, ob sie jemand aus dem Kloster beeinflußt haben
könnte. Sie findet ihre Sorge um sich und die Papiere offenbar unchristlich.“
„Unchristlich? Seltsamer Einfall. Es ist doch sehr menschlich,
sich Sorgen zu machen wegen eines Betrugs, der einen den guten Ruf kosten
könnte. Wenn Christsein als Möglichkeit verstanden wird, menschlicher zu
werden, dann wäre es doch falsch, menschliches Verhalten zu verdammen.“
Ich war überrascht. „Sie haben meiner Tante also
nicht eingeredet, daß sie auf weitere Ermittlungen verzichten soll?“
Er lachte leise. „Das hätten Sie mich auch gleich
fragen können. Nein, ich habe Ihrer Tante nicht ins Gewissen geredet. Aber es
sieht so aus, als müßte ich das tun.“
„Hat sonst irgend jemand aus dem Kloster mit ihr
gesprochen?“
Ihm war nichts bekannt, aber er würde sich umhören
und zurückrufen. Ob ich schon etwas herausgefunden hätte, wollte er wissen. Ich
erzählte ihm von meiner Verabredung mit Hatfield, und wir kamen überein, uns
gegenseitig auf dem laufenden zu halten.
Nach diesem Gespräch machte ich ein wenig Ordnung in
meiner Wohnung. Um halb eins holte ich meine Post aus dem Briefkasten. Wenn man
sich's recht überlegte, war Rosa nur ein altes Weib, das sich vermutlich
eingebildet hatte, es brauche bloß die Zähne zu zeigen, und schon würde sich
das Problem in nichts auflösen. Sie dachte, wenn sie mich holte und ich die
Sache in die Hand nähme, wäre alles erledigt. Doch als sie nach unserem
Gespräch langsam den Tatsachen ins Auge sehen mußte, fand sie wohl, daß ihr
Einsatz sich nicht lohnte. Ich machte den Fehler, daß ich mich zu stark von den
alten Feindseligkeiten beeinflussen ließ und hinter allem, was sie tat, Haßgefühle
und Rachegelüste vermutete.
Um eins rief Ferrant an. Er wollte ein bißchen mit
mir plaudern und hoffte, bei der Gelegenheit noch etwas mehr über die
Börsenlage der Firma Ajax zu erfahren. „Unter anderem bin ich offenbar auch für
den Investitionsbereich zuständig. Mich hat nämlich heute ein gewisser Barrett
aus New York angerufen, der sich als Spezialist für Ajax-Papiere an der
dortigen Börse bezeichnete. Da ich mich weder auf dem Londoner noch auf dem
amerikanischen Aktienmarkt auskenne, war es nicht ganz einfach, den Versierten
zu markieren. Du erinnerst dich sicher, daß ich dir gestern abend von
beachtlichen Kursbewegungen erzählt habe. Barrett wollte mich darauf
aufmerksam machen und mir sagen, daß er von einer kleinen Maklergruppe in
Chicago, die noch nie mit Ajax gehandelt hat, eine Menge Orders erhält. Mit den
Maklern habe alles seine Ordnung, er meinte nur, ich sollte darüber Bescheid
wissen.“
„Ja, und?“
„Nun weiß ich Bescheid, aber ich weiß nicht, was ich
damit anfangen soll. Ich würde mich gern mal mit deiner Freundin unterhalten,
mit dieser Maklerin.“
Ich hatte Agnes Paciorek auf der Universität von
Chicago kennengelernt, als ich Jura studierte und sie - das Mathematik-As - ihr
Diplom in Betriebswirtschaft machte. Genaugenommen hatten wir uns bei den
Versammlungen der Universitätsfrauengruppe getroffen. Unter den grauen Mäusen
ihrer Fakultät hatte sie eine Außenseiterrolle gespielt. Wir waren gut
befreundet.
Ich gab Roger ihre Telefonnummer. Als ich eingehängt
hatte, las ich den Kurs von Ajax im Wallstreet Journal nach. In
diesem Jahr hatte er sich zwischen 28 und 55 bewegt; im Augenblick hatte er den höchsten Stand
erreicht. Der niedrigste Kurs war bei Aetna und Cigna, den beiden größten
Versicherungsaktiengesellschaften, ungefähr der gleiche, doch ihre Höchstkurse
lagen rund zehn Punkte niedriger als bei Ajax. Gestern waren bei beiden jeweils
rund dreihunderttausend Dollar
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