Fromme Wünsche
jetzt kann ich nicht. Wie wär's in einer Stunde im
Golden Glow?“
Ich ließ es dabei und legte auf. Das Golden Glow ist
meine Lieblingsbar in Chicago, vielleicht weil sie so versteckt liegt und noch
einen echten alten Mahagonitresen besitzt.
Ich fuhr ins Büro und sah bis vier die Post durch.
Dann ging ich zu Fuß zur Bar. Sal, die großartige dunkelhäutige Barchefin, von
der die Chicagoer Polizei noch etwas über Massenpsychologie lernen könnte,
begrüßte mich mit einem Lächeln und einer hoheitsvollen Handbewegung. Sie trug
ihr Haar diesmal im Afro-Look. In den Ohren hingen große goldene Ringe, die bis
auf die Schultern reichten. Ein leuchtend blaues Abendkleid brachte ihr
wunderbares Dekollete und ihre Einsachtzig ausgezeichnet zur Geltung. Sie
brachte mir einen doppelten Black Label in die Ecknische und plauderte ein
bißchen mit mir, bevor sie sich wieder der langsam anwachsenden Traube früher
Pendler am Tresen widmete.
Murray tauchte ein paar Minuten später auf, mit wild
zerzaustem Rothaar - der Januarwind! Er hatte einen Lammfellmantel an und
Westernstiefel - der Stadtcowboy in Person. So nannte ich ihn auch zur
Begrüßung, während er bei der Kellnerin ein Bier bestellte. Sal kümmert sich
nur um ihre Stammkunden persönlich.
Wir unterhielten uns über die schwache Leistung der
Black Hawks und über allen möglichen Klatsch und Tratsch.
Als die Kellnerin vorbeikam, bestellte ich ein Glas
Wasser, Murray ein zweites Bier. „Also, was ist los, V.l.? Ich will ja nicht
behaupten, daß es immer Ärger gibt, wenn du mich aus heiterem Himmel anrufst.
Aber meistens willst du doch was von mir.“
„Ich wette mit dir um einen Wochenverdienst, daß du
durch mich an mehr Storys rangekommen bist als ich durch dich an Mandanten.“
„Ein Wochenverdienst von dir reicht nicht mal fürs
Bier. Also, was gibt's?“
„Hast du letzte Woche die Geschichte mit den
gefälschten Wertpapieren draußen in Melrose Park mitgekriegt? Im Dominikanerkloster?“
„Dominikanerkloster“, wiederholte Murray. „Seit wann
treibst du dich in Kirchen rum?“
„Familiensache“, erklärte ich würdevoll. „Vielleicht
weißt du nicht, daß meine Mutter Italienerin war, und wir Italiener halten
zusammen wie Pech und Schwefel. Wenn ein Familienmitglied in der Tinte sitzt,
eilen ihm alle zur Hilfe.“
Auf Murray machte das wenig Eindruck. „Willst du
wegen der Familienehre im Kloster jemanden umlegen?“
„Nein. Aber ich könnte bei der Gelegenheit eventuell
Derek Hatfield eins verpassen.“
Murray war von der Idee begeistert, denn Hatfield
hatte für die Presse genausowenig übrig wie für Privatdetektive.
Von gefälschten Papieren hatte Murray nichts gehört.
„Ging vielleicht nicht übern Draht. Die von der Bundespolizei können ja bei
solchen Sachen furchtbar geheimnisvoll tun - besonders Derek. Meinst du, mit
dem Prior ließe sich ein gutes Interview machen? Vielleicht schick' ich eine
von den Neuen raus.“
Ich schlug ihm vor, das Interview mit Rosa zu
machen, und zählte noch einmal die Möglichkeiten auf, die ich Hatfield genannt
hatte. Murray wollte sie in seinen Bericht einflechten.
Höchstwahrscheinlich würde es ihm gelingen, den
Namen des Stifters zu erfahren und seine Erben ein bißchen ins Licht der
Öffentlichkeit zu rücken. Damit wäre Hatfield zum Handeln gezwungen; er mußte
sie entweder vom Verdacht freisprechen oder öffentlich bekanntgeben, wie weit
die Fälschungen schon zurücklagen. „Was du nicht willst, daß man dir tu', das
füg auch keinem andern zu“, murmelte ich vor mich hin.
„Was heißt das? Du läßt mich doch nicht etwa deine
Dreckarbeit machen, Lady?“
Ich sah ihn mit Unschuldsmiene an. „Murray! Was für
ein Ton! Ich will nur verhindern, daß meine arme alte Tante beim FBI unter die
Räder kommt.“ Ich signalisierte Sal, daß wir gehen wollten; sie schickt mir
einmal im Monat die Rechnung. Es ist die einzige, die ich pünktlich bezahle.
Wir fuhren zum Red Tide, einem Fischlokal im Norden.
Für acht Dollar bekommt man dort erstklassige Krebse serviert. Anschließend
setzte ich Murray an der Haltestelle Fullerton Street ab und fuhr heim.
6
Onkel Stefans Beruf
Es schneite, als ich am nächsten Morgen meine acht
Kilometer zum Belmont-Hafen und zurück lief. Im unbewegten Wasser schwammen
Eisbrocken. Auch der See hinter dem Wellenbrecher lag ganz ruhig da.
An der Ecke Belmont/Sheridan Street stapfte ein
Angehöriger der Heilsarmee herum und rief den Pendlern einen
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