Frost, Jeaniene
Jeaniene Frost
Nachtjägerin
Roman
Deutsch von
Sandra Müller
Die Originalausgabe erschien 2010 unter dem Titel »First
Drop of Crimson«
Prolog
Silvester, ein Jahr zuvor
Obwohl sie
im Keller saßen, konnte Denise den Kampflärm draußen hören. Sie wusste nicht,
was sie angegriffen hatte, aber Menschen konnten es nicht sein, sonst hätte Cat
nicht so ein entsetztes Gesicht gemacht, als sie ihnen Anweisung erteilt hatte,
nach unten zu gehen. Hatte sie Angst, mussten sie alle Angst haben.
Denise
hielt den Atem an, als sie es über sich poltern hörte. Randys Arm schloss sich
enger um sie. »Alles wird gut.«
Sein
Gesichtsausdruck verriet, dass er das selbst nicht glaubte. Denise auch nicht.
Aber sie lächelte, versuchte ihrem Mann weiszumachen, dass sie ihm die Lüge
abnahm, und sei es nur, damit es ihm besser ging.
Sein Arm
löste sich von ihr. »Ich gehe nach oben und helfe mit, es zu
suchen.«
Es war das
Objekt, das die mysteriösen Kreaturen zu dem Haus im eisigen Niemandsland
gelockt hatte. Konnte es gefunden
und zerstört werden, wären sie gerettet.
Noch fünf
Jahre zuvor hätte Denise nicht an die Existenz von Vampiren, Ghulen oder
zauberkräftigen Gegenständen geglaubt. Und nun würden Randy und sie womöglich
sterben, weil sie Silvester zusammen ihrer besten Freundin, einer Halbvampirin,
in einem Haus voller Kreaturen hatte verbringen wollen, von denen der
Durchschnittsbürger nicht einmal ahnte, dass es sie gab.
»Du kannst
da nicht raufgehen, es ist zu gefährlich«, protestierte Denise.
»Ich will
ja nicht nach draußen, nur im Haus suchen.«
Denise
wusste, dass sie es finden mussten; das war ihre
einzige Überlebenschance. »Ich komme mit.«
»Bleib
hier. Die Kids haben Angst.«
Denise
warf einen Blick auf die entsetzten Gesichter mit den schreckgeweiteten Augen,
die sie von der hintersten Ecke des Kellerraumes her ansahen. Ausreißer und
Straßenkinder, die die Vampire gegen regelmäßige Blutspenden bei sich
aufgenommen hatten. Die einzig andere Erwachsene im Raum war Justina, und
selbst die sonst so gebieterisch auftretende Frau machte gerade einen ziemlich
verstörten Eindruck.
»Ich
bleibe hier«, antwortete Denise schließlich. »Sei vorsichtig. Komm sofort
zurück, wenn die Viecher noch näher kommen.«
Randy
küsste sie hastig. »Mach ich. Versprochen.«
»Ich liebe
dich«, rief sie noch, als er die Tür aufriss. Er lächelte. »Ich dich auch.«
Er ging,
und Denise schloss die Tür hinter ihm ab. Sie hatte Randy zum letzten Mal
gesehen.
1
»Ich
glaube, Amber wurde ermordet.«
Denise
starrte ihren Cousin fassungslos an. Sie hatte zwar schon ihre dritte Margarita
intus, konnte sich aber unmöglich verhört haben. Vielleicht
hätten wir nach der Beerdigung doch keinen trinken gehen sollen. Aber Paul
hatte darauf bestanden. Innerhalb eines Monats waren seine Mutter und seine
Schwester verstorben. Wenn es Paul also nach einem Drink besser ging, wer
scherte sich da um Anstandsregeln?
»Aber die
Ärzte haben gemeint, es wäre das Herz gewesen.«
»Ich weiß,
was die gemeint haben«, knurrte Paul. »Die Polizei
hat mir auch nicht geglaubt. Aber einen Tag vor ihrem Tod hat Amber mir
erzählt, sie würde sich verfolgt fühlen. Sie war dreiundzwanzig, Denise. Wer
kriegt mit dreiundzwanzig einen Herzinfarkt?«
»Deine
Mutter ist gerade an einem Herzinfarkt gestorben«, rief Denise ihm sacht in
Erinnerung. »Herzkrankheiten können erblich sein. So junge Menschen wie Amber
leiden zwar selten darunter, aber deine Schwester stand unter enormem Stress
...«
»Nicht
mehr als ich gerade«, schnitt Paul ihr in bitterem Tonfall das Wort ab. »Heißt
das, ich bin der Nächste?«
Die
Vorstellung war so entsetzlich, dass Denise sie gar nicht näher in Betracht
ziehen wollte. »Mit dir ist bestimmt alles in Ordnung, aber es könnte trotzdem
nicht schaden, wenn du dich mal durchchecken lässt.«
Paul
beugte sich vor. Bevor er sprach, sah er sich verstohlen um. »Ich glaube,
hinter mir ist auch jemand her.« Seine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern.
Denise
antwortete zunächst nichts darauf. Nach Randys Tod hatte sie monatelang hinter
jedem Schatten ein Ungeheuer vermutet, das über sie herfallen wollte. Selbst
ein Jahr später hatte sie das Gefühl noch nicht gänzlich abschütteln können.
Nun waren ihre Tante und ihre Cousine innerhalb eines Monats verstorben, und
Paul schien sich ebenfalls vom Tod verfolgt zu fühlen. War das eine
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