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Frühe Erzählungen 1893-1912

Frühe Erzählungen 1893-1912

Titel: Frühe Erzählungen 1893-1912 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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hören Sie, wie schön!« rief Herr Spinell, und sein Gesicht war gänzlich verzerrt.
    »Was finden Sie nun
hieran
so besonders schön, Herr Spinell!«
    »Oh, dies, daß es sechs außer Ihnen waren, daß Sie nicht in diese Zahl eingeschlossen waren, sondern daß Sie gleichsam als Königin daraus hervortraten … Sie waren ausgezeichnet vor Ihren sechs Freundinnen. Eine kleine goldene Krone, ganz unscheinbar aber bedeutungsvoll, saß in Ihrem Haar und blinkte …«
    »Nein, Unsinn, nichts von einer Krone …«
    »Doch, sie blinkte heimlich. Ich hätte sie gesehen, hätte sie deutlich in Ihrem Haar gesehen, wenn ich in einer dieser Stunden unvermerkt im Gestrüpp gestanden hätte …«
    »Gott weiß, was Sie gesehen hätten. Sie standen aber nicht dort, sondern eines Tages war es mein jetziger Mann, der zusammen mit meinem Vater aus dem Gebüsch hervortrat. Ich fürchte, sie hatten sogar allerhand von unserem Geschwätz belauscht …«
    »Dort war es also, wo Sie Ihren Herrn Gemahl kennen lernten, gnädige Frau?«
    »Ja, dort lernte ich ihn kennen!« sagte sie laut und fröhlich, und indem sie lächelte, trat das zartblaue Äderchen angestrengt und seltsam über ihrer Braue hervor. »Er besuchte meinen Vater in Geschäften, wissen Sie. Am nächsten Tage war er zum Diner geladen, und noch drei Tage später hielt er um meine Hand an.«
    {341} »Wirklich! Ging das alles so außerordentlich schnell?«
    »Ja … Das heißt, von nun an ging es ein wenig langsamer. Denn mein Vater war der Sache eigentlich gar nicht geneigt, müssen Sie wissen, und machte eine längere Bedenkzeit zur Bedingung. Erstens wollte er mich lieber bei sich behalten, und dann hatte er noch andere Skrupeln. Aber …«
    »Aber?«
    »Aber ich
wollte
es eben«, sagte sie lächelnd, und wieder beherrschte das blaßblaue Äderchen mit einem bedrängten und kränklichen Ausdruck ihr ganzes liebliches Gesicht.
    »Ah, Sie wollten es.«
    »Ja, und ich habe einen ganz festen und respektablen Willen gezeigt, wie Sie sehen …«
    »Wie ich es sehe. Ja.«
    »… Sodaß mein Vater sich schließlich darein ergeben mußte.«
    »Und so verließen Sie ihn denn und seine Geige, verließen das alte Haus, den verwucherten Garten, den Springbrunnen und Ihre sechs Freundinnen und zogen mit Herrn Klöterjahn.«
    »Und zog mit … Sie haben eine Ausdrucksweise, Herr Spinell –! Beinahe biblisch! – Ja, ich verließ das alles, denn so will es ja die Natur.«
    »Ja, so will sie es wohl.«
    »Und dann handelte es sich ja um mein Glück.«
    »Gewiß. Und es kam, das Glück …«
    »Das kam in der Stunde, Herr Spinell, als man mir zuerst den kleinen Anton brachte, unseren kleinen Anton, und als er so kräftig mit seinen kleinen gesunden Lungen schrie, stark und gesund wie er ist …«
    »Es ist nicht das erste Mal, daß ich Sie von der Gesundheit Ihres kleinen Anton sprechen höre, gnädige Frau. Er muß ganz ungewöhnlich gesund sein?«
    {342} »Das ist er. Und er sieht meinem Mann so lächerlich ähnlich!«
    »Ah! – Ja, so begab es sich also. Und nun heißen Sie nicht mehr Eckhof sondern anders und haben den kleinen gesunden Anton und leiden ein wenig an der Luftröhre.«
    »Ja. – Und
Sie
sind ein durch und durch rätselhafter Mensch, Herr Spinell, dessen versichere ich Sie …«
    »Ja, straf’ mich Gott, das sind Sie!« sagte die Rätin Spatz, die übrigens auch noch vorhanden war.
    Aber auch mit diesem Gespräch beschäftigte Herrn Klöterjahns Gattin sich mehrere Male in ihrem Innern. So nichtssagend es war, so barg es doch einiges auf seinem Grunde, was ihren Gedanken über sich selbst Nahrung gab. War
dies
der schädliche Einfluß, der sie berührte? Ihre Schwäche nahm zu, und oft stellte Fieber sich ein, eine stille Glut, in der sie mit einem Gefühle sanfter Gehobenheit ruhte, der sie sich in einer nachdenklichen, preziösen, selbstgefälligen und ein wenig beleidigten Stimmung überließ. Wenn sie nicht das Bett hütete und Herr Spinell auf den Spitzen seiner großen Füße mit ungeheurer Behutsamkeit zu ihr trat, in einer Entfernung von zwei Schritten stehen blieb und, das eine Bein zurückgestellt und den Oberkörper vorgebeugt, mit ehrfürchtig gedämpfter Stimme zu ihr sprach, wie als höbe er sie in scheuer Andacht sanft und hoch empor und bettete sie auf Wolkenpfühle, woselbst kein schriller Laut und keine irdische Berührung sie erreichen solle …, so erinnerte sie sich der Art, in der Herr Klöterjahn zu sagen pflegte: »Vorsichtig,

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