Frühlings Erwachen (German Edition)
Menschen hatte ich mir unendlich schlimmer gedacht. Ich habe keinen gefunden, der nicht sein Bestes gewollt hätte. Ich habe manchen bemitleidet um meinetwillen.
Ich wandle zum Altar wie der Jüngling im alten Etrurien, dessen letztes Röcheln der Brüder Wohlergehen für das kommende Jahr erkauft. – Ich durchkoste Zug für Zug die geheimnisvollen Schauer der Loslösung. Ich schluchze vor Wehmut über mein Los. – Das Leben hat mir die kalte Schulter gezeigt. Von drüben her sehe ich ernste freundliche Blicke winken: die kopflose Königin, die kopflose Königin – Mitgefühl, mich mit weichen Armen erwartend... Eure Gebote gelten für Unmündige; ich trage mein Freibillett in mir. Sinkt die Schale, dann flattert der Falter davon; das Trugbild geniert nicht mehr. – Ihr solltet kein tolles Spiel mit dem Schwindel treiben! Der Nebel zerrinnt; das Leben ist Geschmackssache.
Ilse in abgerissenen Kleidern, ein buntes Tuch um den Kopf, faßt ihn von rückwärts an der Schulter Was hast du verloren?
Moritz Ilse?!
Ilse Was suchst du hier?
Moritz Was erschreckst du mich so?
Ilse Was suchst du? – Was hast du verloren?
Moritz Was erschreckst du mich denn so entsetzlich?
Ilse Ich komme aus der Stadt. Ich gehe nach Hause.
Moritz Ich weiß nicht, was ich verloren habe.
Ilse Dann hilft auch dein Suchen nichts.
Moritz Sakerment, Sakerment!!
Ilse Seit vier Tagen bin ich nicht zu Hause gewesen.
Moritz Lautlos wie ein Katze!
Ilse Weil ich meine Ballschuhe anhabe. – Mutter wird Augen machen – Komm bis an unser Haus mit!
Moritz Wo hast du wieder herumgestrolcht?
Ilse In der Priapia!
Moritz Priapia!
Ilse Bei Nohl, bei Fehrendorf, bei Padinsky, bei Lenz, Rank, Spühler – bei allen möglichen! – Kling, kling – die wird springen!
Moritz Malen sie dich?
Ilse Fehrendorf malt mich als Säulenheilige. Ich stehe auf einem korinthischen Kapitäl. Fehrendorf, sag' ich dir, ist eine verhauene Nudel. Das letzte Mal zertrat ich ihm eine Tube. Er wischt mir die Pinsel ins Haar. Ich versetze ihm eine Ohrfeige. Er wirft mir die Palette an den Kopf. Ich werfe die Staffelei um. Er mit dem Malstock hinter mir drein über Diwan, Tische, Stühle, ringsum durchs Atelier. Hinterm Ofen lag eine Skizze: Brav sein, oder ich zerreiße sie! – Er schwor Amnestie und hat mich dann schließlich noch schrecklich – schrecklich, sag' ich dir – abgeküßt.
Moritz Wo übernachtest du, wenn du in der Stadt bleibst?
Ilse Gestern waren wir bei Nohl – vorgestern bei Bojokewitsch – Sonntag bei Oikonomopulos. Bei Padinsky gab's Sekt. Valabregez hatte seinen Pestkranken verkauft. Adolar trank aus dem Aschenbecher. Lenz sang die Kindesmörderin, und Adolar schlug die Gitarre krumm. Ich war so betrunken, daß sie mich zu Bett bringen mußten. – – Du gehst immer noch zur Schule, Moritz?
Moritz Nein, nein dieses Quartal nehme ich meine Entlassung.
Ilse Du hast recht. Ach, wie die Zeit vergeht, wenn man Geld verdient! – Weißt du noch, wie wir Räuber spielten? – Wendla Bergmann und du und ich und die andern, wenn ihr abends herauskamt und kuhwarme Ziegenmilch bei uns trankt? – Was macht Wendla? Ich sah sie noch bei der Überschwemmung. – Was macht Melchi Gabor? – Schaut er noch so tiefsinnig drein? – In der Singstunde standen wir einander gegenüber.
Moritz Er philosophiert.
Ilse Wendla war derweil bei uns und hat der Mutter Eingemachtes gebracht. Ich saß den Tag bei Isidor Landauer. Er braucht mich zur heiligen Maria, Mutter Gottes, mit dem Christuskind. Er ist ein Tropf und widerlich. Hu, wie ein Wetterhahn! – Hast du Katzenjammer?
Moritz Von gestern abend! – Wir haben wie Nilpferde gezecht. Um fünf Uhr wankt' ich nach Hause.
Ilse Man braucht dich nur anzusehen. – Waren auch Mädchen dabei?
Moritz Arabella, die Biernymphe, Andalusierin! – Der Wirt ließ uns alle die ganze Nacht durch mit ihr allein...
Ilse Man braucht dich nur anzusehen, Moritz! – Ich kenne keinen Katzenjammer. Vergangenen Karneval kam ich drei Tage und drei Nächte in kein Bett und nicht aus den Kleidern. Von der Redoute ins Café, mittags in Bellavista, abends Tingl-Tangl, nachts zur Redoute. Lena war dabei und die dicke Viola. – In der dritten Nacht fand mich Heinrich.
Moritz Hatte er dich denn gesucht?
Ilse Er war über meinen Arm gestolpert. Ich lag bewußtlos im Straßenschnee. – Darauf kam ich zu ihm. Vierzehn Tage verließ ich seine Behausung nicht – ein greuliche Zeit! – Morgens mußte ich seinen persischen
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