Auf ein Neues!: Roman (German Edition)
Kapitel 1
»Ich bin zu einer Entscheidung gelangt. Würden die Parteien sich bitte erheben?«
Chelsie Russell schob ihren Stuhl zurück, stand auf und musterte den weißhaarigen Richter, der über das Schicksal ihrer Nichte bestimmen würde. Sie wagte es nicht, zu ihren Eltern hinüberzusehen, die links von ihr saßen. Sie konnte ihre Lügen und Intrigen kaum ertragen. Zum ersten Mal in ihrem Leben wünschte sie sich, einen Prozess zu verlieren.
Ihre Eltern zu vertreten war keine gute Idee gewesen, ein Entschluss, den sie unter sehr traurigen Umständen gefasst hatte. Der noch unverarbeitete frühe Tod ihrer Schwester und heftige Schuldgefühle wegen all der versäumten Dinge hatten sie gequält. Da sie ja selber im Haus ihrer Eltern aufgewachsen war, hätte sie wissen müssen, dass die beiden sich nicht dazu eigneten, ein Kleinkind zu betreuen.
Der Richter räusperte sich. »In einer Familienangelegenheit ein Urteil zu fällen ist niemals leicht.« Er wandte sich an Griffin Stuart, den Mann, dem Chelsie, ohne es zu wollen, Unrecht getan hatte. »Sie haben bei diesem Unfall einen Bruder verloren«, konstatierte der Richter.
Griffin nickte. Chelsie schluckte schwer. Dank seines schwarzen Haars und der markanten Gesichtszüge war seine Ähnlichkeit mit ihrer Nichte unverkennbar. Ebenso unverkennbar wie seine Zuneigung zu der Kleinen. Seine Aussage hatte gezeigt, wie sehr ihn das alles mitgenommen hatte. Chelsie hielt sich an den Ecken des zerkratzten Holztisches fest.
Der Richter wandte sich an ihre Eltern. »Und Sie haben eine Tochter verloren«, sagte er mitfühlend. »Der Wunsch, Ihre Enkeltochter großzuziehen, ist verständlich, sogar bewundernswert, aber nicht, wenn andere darunter leiden müssen.«
Das war auch Chelsies Meinung. Sie hatte nicht geahnt, dass ihre Eltern zu unfairen Mitteln greifen würden, um ihren Willen durchzusetzen. Aber sie wünschte, sie hätte es gewusst. Dann wäre ihnen allen diese Tortur erspart geblieben.
Der Richter fuhr mit seiner Rede fort:. »Wenn man lügt und betrügt, hat das für alle Beteiligten negative Folgen. Demzufolge übertrage ich hiermit das alleinige und ungeteilte Sorgerecht dem Onkel des Kindes, Griffin Stuart, mit großzügigen Besuchsrechten für die Russells, die, so hoffe ich, aus dieser Erfahrung gelernt haben.« Der Richter ließ seinen Hammer knallen. »Die Verhandlung ist geschlossen.«
Es war vorüber .
Chelsie schlug die Hände vors Gesicht, während ihre Eltern ohne ein Wort aus dem Gerichtssaal stürmten.
Als sie auf dem Flur allein war, lehnte Chelsie sich mit dem Rücken an einen Marmorpfeiler und schloss die Augen. Die Kälte des Steins drang durch ihre leichte Seidenbluse und ließ sie schaudern. Trotz ihrer Erleichterung über den Ausgang der Verhandlung geboten es der allgemeine Anstand und ihre Gefühle für Griffin Stuart, dass sie einen Entschuldigungsversuch unternahm.
Sie fragte sich, ob er ihr überhaupt zuhören würde. Da sie Familienbesuche vermieden hatte, beschränkte sich ihr Umgang mit Griffin auf rein berufliche Dinge. Wenn sie sich im Gerichtsgebäude begegneten, gingen sie mit einem freundlichen Nicken und gelegentlich auch einem höflichen Wortwechsel aneinander vorbei. Manchmal hatte sie sogar den Eindruck, dass er ihr nachschaute, doch da hatte sie sich sicher getäuscht. Oder es war einfach nur Wunschdenken. Doch obwohl sie ihn ihrerseits hin und wieder bewundernd gemustert hatte, war in ihrem Leben kein Platz für einen Mann, schon gar nicht für einen, dessen Verbindungen zu ihrer Familie sie auf ein emotionales Minenfeld führen würden.
Und nun? Schon Alix zuliebe mussten sie anständig miteinander umgehen. Dank des richterlichen Urteils konnte Griff ihr und ihren Eltern Besuche nicht verwehren, aber höchstwahrscheinlich würde er sie nicht mehr mit einem freundlichen Lächeln oder gar einem Lachen begrüßen. Er galt als ein großartiger Anwalt mit einem aufbrausenden Temperament, das er, falls er die Gelegenheit bekam, wohl an ihr auslassen würde.
»Und? War’s schlimm für dich?«
DiesetiefeStimmekannteChelsie.AnscheinendwarderendloseTagnochlangenichtvorüber.»Schlimmeralsdu es dir vorstellen kannst«, sagte sie und hob die Lider.
Griffs haselnussbraune Augen sprühten vor Zorn und seine offenkundige Empörung sorgte für eine gereizte Stimmung. Chelsie erinnerte sich noch gut an die Zeit, als diese Augen freundlich und anerkennend auf ihr geruht hatten. Griff nun so zu sehen, so verschlossen,
Weitere Kostenlose Bücher