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Frühlings Erwachen (German Edition)

Frühlings Erwachen (German Edition)

Titel: Frühlings Erwachen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Wedekind
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Kleider und Geld. Tust du das aus eigenem Antriebe, oder schickt deine Mutter dich?
    Wendla Meistens schickt mich die Mutter. Es sind arme Taglöhnerfamilien, die eine Unmenge Kinder haben. Oft findet der Mann keine Arbeit, dann frieren und hungern sie. Bei uns liegt aus früherer Zeit noch so mancherlei in Schränken und Kommoden, das nicht mehr gebraucht wird. Aber wie kommst du darauf?
    Melchior Gehst du gern oder ungern, wenn deine Mutter dich so wohin schickt?
    Wendla O für mein Leben gern! Wie kannst du fragen!
    Melchior Aber die Kinder sind schmutzig, die Frauen sind krank, die Wohnungen strotzen von Unrat, die Männer hassen dich, weil du nicht arbeitest...
    Wendla Das ist nicht wahr, Melchior. Und wenn es wahr wäre, ich würde erst recht gehen!
    Melchior Wieso erst recht, Wendla?
    Wendla Ich würde erst recht hingehen. – Es würde mir noch viel mehr Freude bereiten, ihnen helfen zu können.
    Melchior Du gehst also um deiner Freude willen zu den armen Leuten?
    Wendla Ich gehe zu ihnen, weil sie arm sind.
    Melchior Aber wenn es dir keine Freude wäre, würdest du nicht gehen?
    Wendla Kann ich denn dafür, daß es mir Freude macht?
    Melchior Und doch sollst du dafür in den Himmel kommen! – So ist es also richtig, was mir nun seit einem Monat keine Ruhe mehr läßt! – Kann der Geizige dafür, daß es ihm keine Freude macht, zu schmutzigen kranken Kindern zu gehen?
    Wendla O dir würde es sicher die größte Freude sein!
    Melchior Und doch soll er dafür des ewigen Todes sterben! – Ich werde eine Abhandlung schreiben und sie Herrn Pastor Kahlbauch einschicken. Er ist die Veranlassung. Was faselt er uns von Opferfreudigkeit! – Wenn er mir nicht antworten kann, gehe ich nicht mehr in die Kinderlehre und lasse mich nicht konfirmieren.
    Wendla Warum willst du deinen lieben Eltern den Kummer bereiten! Laß dich doch konfirmieren; den Kopf kostet's doch nicht. Wenn unsere schrecklichen weißen Kleider und eure Schlepphosen nicht wären, würde man sich vielleicht noch dafür begeistern können!
    Melchior Es gibt keine Aufopferung! Es gibt keine Selbstlosigkeit! – Ich sehe die Guten sich ihres Herzens freun, sehe die Schlechten beben und stöhnen – ich sehe dich, Wendla Bergmann, deine Locken schütteln und lachen, und mir wird so ernst dabei wie einem Geächteten. – – Was hast du vorhin geträumt, Wendla, als du am Goldbach im Grase lagst?
    Wendla – – Dummheiten – Narreteien –
    Melchior Mit offenen Augen?!
    Wendla Mir träumte, ich wäre ein armes, armes Bettelkind, ich würde früh fünf schon auf die Straße geschickt, ich müßte betteln den ganzen langen Tag in Sturm und Wetter, unter hartherzigen, rohen Menschen. Und käm' ich abends nach Hause, zitternd vor Hunger und Kälte, und hätte so viel Geld nicht, wie mein Vater verlangt, dann würd' ich geschlagen – geschlagen –
    Melchior Das kenne ich, Wendla. Das hast du den albernen Kindergeschichten zu danken. Glaub' mir, so brutale Menschen existieren nicht mehr.
    Wendla O doch, Melchior, du irrst. – Martha Bessel wird Abend für Abend geschlagen, daß man anderntags Striemen sieht. O was die leiden muß! Siedendheiß wird es einem, wenn sie erzählt. Ich bedaure sie so furchtbar, ich muß oft mitten in der Nacht in die Kissen weinen. Seit Monaten denke ich darüber nach, wie man ihr helfen kann. – Ich wollte mit Freuden einmal acht Tage an ihrer Stelle sein.
    Melchior Man sollte den Vater kurzweg verklagen. Dann würde ihm das Kind weggenommen.
    Wendla Ich, Melchior, bin in meinem Leben nie geschlagen worden – nicht ein einziges Mal. Ich kann mir kaum denken, wie das tut, geschlagen zu werden. Ich habe mich schon selber geschlagen, um zu erfahren, wie einem dabei ums Herz wird. – Es muß ein grauenvolles Gefühl sein.
    Melchior Ich glaube nicht, daß je ein Kind dadurch besser wird.
    Wendla Wodurch besser wird?
    Melchior Daß man es schlägt.
    Wendla – Mit dieser Gerte zum Beispiel! – Hu, ist die zäh und dünn!
    Melchior Die zieht Blut!
    Wendla Würdest du mich nicht einmal damit schlagen?
    Melchior Wen?
    Wendla Mich.
    Melchior Was fällt dir ein, Wendla!
    Wendla Was ist denn dabei?
    Melchior O sei ruhig! – Ich schlage dich nicht.
    Wendla Wenn ich dir's doch erlaube!
    Melchior Nie, Mädchen!
    Wendla Aber wenn ich dich darum bitte, Melchior!
    Melchior Bist du nicht bei Verstand?
    Wendla Ich bin in meinem Leben nie geschlagen worden!
    Melchior Wenn du um so etwas bitten kannst...
    Wendla – Bitte –

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