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Die Tulpe des Bösen

Die Tulpe des Bösen

Titel: Die Tulpe des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Kastner
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D IE T ULPE UND DIE N IEDERLÄNDER
    E her zufällig sollen im Jahre 1562 die ersten Tulpenzwiebeln aus dem Osmanischen Reich in die Niederlande gelangt sein. An Bord eines Handelsschiffes, aus irgendeinem Grund zwischen Tuchballen eingeklemmt. Der überraschte Tuchhändler tat, was man mit Zwiebeln gemeinhin tut: Einen Teil der unbestellten Ware ließ er sich geröstet und mit Essig und Öl angemacht servieren. Das Gericht mundete ihm so gut, daß er die restlichen Zwiebeln in seinem Gemüsegarten in die Erde steckte, um im nächsten Jahr mehr davon essen zu können. Aber daraus wurde nichts, denn im Frühling überraschte ihn in seinem Beet eine farbenfrohe Tulpenpracht – so will es zumindest die Überlieferung.
    Fest steht, daß die Tulpe im Verlauf des sechzehnten Jahrhunderts aus dem osmanischen Raum nach Europa kam und sich schnell ausbreitete. Im Jahre 1570 wurde sie in Augsburg gesichtet, zwei Jahre später in Wien, 1582 in England, 1593 in Frankfurt, 1598 in Südfrankreich. Die Tulpe fand überall Freunde und Bewunderer, nicht so sehr als Nahrungsmittel – obwohl sie dem Gelehrten Carolus Clusius in Zucker eingelegt ganz prächtig gemundet haben soll –, sondern wegen ihrer Schönheit. Die Vielfalt ihrer Formen und besonders Farben hatte es den Bewunderern angetan, vor allem aber die Tatsache, daß die Zwiebeln zuweilen ganz neue Blütenmuster hervorbrachten.
    Besonders vernarrt in die Tulpe waren die Niederländer, denen ebenjener Gelehrte Clusius, im Jahre 1593 als Professor für Botanik an die Universität von Leiden berufen, die Blume nahebrachte. Die tüchtigen Niederländer machten aus der Leidenschaft ein Geschäft, und in den folgenden Jahrzehnten nahm der Handel mit Tulpenzwiebeln ungeahnte Ausmaße an, das Land verfiel in ein regelrechtes Tulpenfieber. Für eine einzige Zwiebel einer der seltenen Sorten, die sich durch ein ungewöhnliches Muster auszeichneten, wurden bald tausend, dann fünftausend, ja zehntausend Gulden gezahlt. Für diese Summe wäre schon ein feines Haus in bester Grachtenlage mitten in Amsterdam zu haben gewesen.
    Doch im Jahre 1637 fand der Tulpenwahn ein jähes Ende, als die Nachfrage dem Angebot nicht mehr folgte. Immer mehr Spekulanten, die zu Geld gekommen waren, indem sie die Zwiebeln schon weiterverkauften, bevor sie die Ware überhaupt in Händen hielten, blieben auf ihren sündhaft teuer angekauften Beständen sitzen. Große wie kleine Tulpenhändler stürzten gleich reihenweise in die Armut.
    Auf einmal stand die Tulpe in einem schlechten Ruf. Zwar gab es weiterhin Liebhaber, die mit ihr Handel trieben, aber die Preise waren fortan gesetzlich reguliert.
    Nie wieder würde die Tulpe die Niederlande an den Rand einer Katastrophe bringen – dachte man …

P ROLOG
    M ONTAG , 8. M AI 1671
    A m Abend des achten Mai im Jahre des Herrn 1671 verließ Balthasar de Koning das Wirtshaus Zu den drei Tulpen zu später Stunde. Er war guter Laune, weil es ein anregendes Beisammensein gewesen war und weil er nicht wußte, daß dies die Stunde seines Todes sein sollte.
    Die Gespräche mit seinen Freunden hatten die Zeit wie im Fluge vergehen lassen, längst hatte die Nacht ihren dunklen Mantel über Amsterdam gebreitet. Ohne die neumodischen Öllampen, die seit dem vergangenen Jahr die Straßen und Grachten der Stadt säumten, wäre der Heimweg beschwerlich gewesen. So aber konnte der angesehene Bankier unbesorgt sein, und der bloße Gedanke an sein Bett ließ ihn gähnen.
    Eine frische Brise wehte, und zu de Konings plötzlicher Müdigkeit gesellte sich ein leichtes Frösteln. Während er den Umhang über der Brust zusammenzog, fiel sein Blick auf das Schild der Gaststube, das mit leisem Quietschen im Wind schaukelte: drei ineinander verschlungene Tulpen, eine, wie er trotz der Dunkelheit wußte, mit roten, eine mit gelben und eine mit blauen Blütenblättern.
    Einst, als er noch ein junger Mann gewesen war, hatte man ähnliche Schilder fast überall in Amsterdam gesehen. Damals, bevor so viele ehedem brave Bürger ihr Vermögen, wenn nicht gar Haus und Hof, bei der großen Tulpenspekulation verloren hatten. Seither haftete der Tulpe, die doch nichts für all den Wahnsinn konnte, ein Makel an. Aus einer schönen, unschuldigen Blume war eine Unheilsbotin geworden, ja fast eine Monstrosität. Nur noch wenige Gasthäuser trugen sie im Namen, aber Geert Willems, der Wirt der Drei Tulpen, war nach wie vor ein Freund jener besonderen Blume, so wie Balthasar de Koning und die anderen

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