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Fuenf Frauen, der Krieg und die Liebe

Fuenf Frauen, der Krieg und die Liebe

Titel: Fuenf Frauen, der Krieg und die Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Bryan
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Moment noch anders überlegen konnte. Sie würde die beiden um nichts in der Welt enttäuschen. Aber nun, als sie tatsächlich unterwegs war, schlaflos und allein in der Dunkelheit, kehrten ihre Bedenken zurück. Das Quengeln des unsichtbaren Babys irgendwo den Gang hinunter steigerte ihre Unruhe noch.
    In diesem Moment öffnete die fünfzehnjährige Shifra ihre braunen Augen. Sie lächelte ihre Großmutter an und setzte sich so hin, dass sie ihren Kopf auf Tannis Schulter legen konnte. »Ich finde es so aufregend, dass wir nach London fliegen, Bubbie. Meine beste Freundin Rachel aus der Schule war schon mal dort und hat sich die
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angesehen. Die ist ganz toll, sagt sie. Ich habe Großvater davon erzählt und seine Sekretärin hat uns Karten besorgt, als Überraschung von ihm. Ich habe mein Taschengeld gespart, weil ich am Camden Lock Market shoppen will – Rachel hat mir gesagt, wo die besten Stände sind. Und ich werde sehen, wo Eema geboren ist! Und …« Mitten im Satz fielen ihr die Augen zu, obwohl das Baby am Ende des Ganges nun aus vollem Hals brüllte.
    Shifras weiche Locken kitzelten Tanni an der Wange. Sie war die Jüngste in ihrer großen Familie und für Tanni war sie immer noch »das Baby«, obwohl Shifra im Laufe des vergangenen Jahres groß geworden war und allmählich ihre kindliche Rundlichkeit verlor. Tanni war nur wenig älter gewesen als Shifra es heute war, als sie aus dem Zug stieg und Crowmarsh Prior zum ersten Mal sah, nicht als Feriengast, sondern als verheiratete Frau und Mutter. War sie jemals so jung und sorglos gewesen wie Shifra mit ihrer Rockmusik und ihren T-Shirts und Handgelenken voller bunter geflochtener Freundschaftsbänder, die Teenager sich gegenseitig schenkten? Bruno hatte recht. Sie musste diese Reise Frances zuliebe machen, die ihre Freundin gewesen war. Was hätte sie vor all den Jahren nur ohne ihre Freundinnen angefangen?
    Um sie herum begannen die Leute zu gähnen, sich aufrecht hinzusetzen und ihre verkrampften Glieder auszustrecken. Die Flugbegleiter kamen den Gang entlang und servierten Tee und Obst. Kurz darauf verkündete der Kapitän, dass sie sich im Landeanflug auf Gatwick befänden, und Tannis Enkelkinder reckten die Hälse, um ihren ersten Blick auf England zu werfen, während das Flugzeug über dem frühmorgendlichen Verkehr auf der M23 kreiste.
    Der Schatten des Flugzeugs streifte einen großen silberfarbenen Mercedes, an dessen Steuer eine dickliche, juwelengeschmückte kleine Frau saß. Der Mercedes war in rasantem Tempo auf der Autobahn Richtung Sussex unterwegs und huschte zwischen den Lastwagen von einer Fahrspur auf die andere. Lady Carpenter, das dritte Mitglied der Gruppe, trat mit ihrem lila beschuhten Fuß das Gaspedal durch. Zum Entsetzen ihrer Familie bestand sie darauf, selbst zu fahren, obwohl sie sich mit ihren einundsiebzig Jahren beim Fahren längst nicht mehr so gut konzentrieren konnte wie früher. Doch seit dem Tod ihres Mannes hatte sie das Vermögen der Familie in der Hand und machte genau das, wonach ihr der Sinn stand …
    Das vierte Mitglied der Gruppe war bereits in Crowmarsh Priors. Sie lebte schon so lang dort, dass sich nur noch eine Handvoll Menschen daran erinnerte, woher sie ursprünglich stammte. Einige davon lebten immer noch in New Orleans, weißhaarige Witwen, die vor vielen Jahren gemeinsam mit Evangeline Fontaine die Schule im Französischen Kloster besucht hatten. Nun verbrachten sie ihre Nachmittage auf der Veranda eines Altenheims, das früher einmal die Villa der Familie Fontaine gewesen war. Sie saßen in ihren Schaukelstühlen, fächelten sich Luft zu und redeten über dieselben Dinge, über die sie schon vor fünfzig Jahren gesprochen hatten, wie über die Nacht, als sie an dem Ball teilnahmen, den Evangelines Eltern zur Einführung ihrer Tochter in die Gesellschaft veranstalteten. Der Ball hatte in genau diesem Haus stattgefunden,bevor die Fontaines in finanzielle Schwierigkeiten gerieten und es verkaufen mussten. »Wirklich eine Schande, wo das Haus doch schon so lang im Besitz der Familie war. Hatte irgendwas mit dem Krieg zu tun, dass sie ihr ganzes Geld verloren haben. Das war, nachdem Evangeline durchgebrannt ist.«
    Dass Evangeline Fontaine mit einem Mann durchgebrannt war, war damals ein Skandal gewesen und war es auch heute noch.
    »Ja, stimmt, kurz vor dem Krieg. Ich weiß nicht mehr, wie der Junge hieß, mit dem sie davongelaufen ist, den kannte hier keiner und keiner wusste

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