Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen
sagt Christian Straff und zieht Jutta hoch.
Sie geht wie eine Marionette, ohne eigene Kraft, von Christian halb geschoben, halb getragen.
Er schafft es. »Wir haben es gleich überstanden«, sagt er. »Verstehst du mich, Jutta?«
Langsam taut ihr Gesicht auf.
Er legt ihr eine Schwimmweste um. »Siehst du, so«, sagt er. »Sag doch was.«
Jutta will lächeln. Christian sieht, wie sie sich anstrengt. Der Blick wird bewußt. »Wir nehmen jetzt noch ein Bad«, sagt er und deutet auf das Wasser, »… ist gut gegen die Hitze.«
Jutta nickt schwach.
»Und dann schwimmen wir beide mitten in den Frieden … ich helf dir. Du darfst nur keine Angst haben … Verstehst du mich?«
»Ja«, sagt das Mädchen.
»Gleich«, erwidert er und geht nach oben, um sich umzusehen.
Die Ewigkeit des Grauens dauerte knapp zehn Minuten. Nur zehn Minuten war der Tod unterwegs, aber die Menschen auf dem Schiff brauchen noch zehn Stunden, um zu sterben. Kürzer ist es nur dann, wenn sie ihr Schicksal selbst steuern wollen.
Die Forschheit des Sturmbannführers Langenfritz hängt noch auf Halbmast. Aber er merkt, daß die Flugzeuge nicht mehr angreifen, und schickt den unverletzten Hauptscharführer Dreiling los.
»So, Herrschaften«, sagt er gut gelaunt zu den Totenkopfleuten und SS-Maiden, die sich mit ihm in den Rauchsalon zurückgezogen haben. »Auf in den Kampf … Zusammenbleiben. Die Gruppe Langenfritz macht einen geschlossenen Sprung.«
»Und dann?« fragt eines der Mädchen verstört.
»Mit den Rettungsbooten an Land«, antwortet der SD-Führer. Er setzt angeberisch hinzu: »Leider fällt das Bordfest heute Abend flach.«
Ein paar Umstehende grinsen wieder beflissen. Die meisten haben andere Sorgen.
»Wir kommen doch mit?« sagt eine blasse, schmale SS-Maid.
»Natürlich«, versetzt der Sturmbannführer jovial. »Wir sind doch Kavaliere.« Er sieht unruhig zur Tür hin, die er von Posten bewachen läßt. »Wo steckt denn Dreiling, dieser Scheißkerl, bloß?«
Der Hauptscharführer meldet sich mit drei Matrosen vom Stammpersonal.
»Den Möhrenkopf habe ich gleich verhaftet und mitgebracht«, sagt er stolz auf sich selbst.
»Wie sieht's aus?«
»Schöne Scheiße«, entgegnet der Funkmaat. »Das Schiff ist hinüber, die meisten Schlauchboote verbrannt …«
»Was ist mit den Rettungsbooten?« unterbricht ihn Langenfritz ungeduldig.
»Im Eimer.«
»Alle?«
»Höchstens eines oder zwei sind noch in Ordnung.«
»Beschlagnahmt«, erwidert Langenfritz. Er nickt Christine zu, die sein Fluchtgepäck zur Hand hat. »Höchste Eisenbahn«, sagt er zackig. »Nichts wie weg, wir lassen die Scheiße am Dampfen. – Kommt mit, Kinder«, ruft er den Posten leutselig zu.
Er zieht den Kopf ein. Im ersten Moment ist er blind. Der Qualm treibt ihm Tränen in die Augen. Dann sieht er ein paar Matrosen, die an dem Rettungsboot neben dem Fallreep hantieren, und geht darauf zu. Er sieht Häftlinge, die einen Verletzten bergen, und bleibt eine Sekunde stehen.
»Wer hat denn davon was gesagt?« brummelt er und schüttelt den Kopf. »Werft doch die beschissenen Kerle einfach über Bord.« Er geht weiter. »Beschissen seid ihr ja sowieso alle.«
Er sieht das Feuer, spürt die Hitze und verliert die Lust am Reden. »Was machen denn die so lange hier rum?« flucht er.
»Auch kaputt«, meldet Dreiling, »es ist nur noch ein Boot flottzumachen.«
»Reicht doch«, erwidert Langenfritz.
»Nicht für alle«, versetzt Dreiling.
Jetzt übersieht der Sturmbannführer die Situation, er erschrickt und faßt sich wieder. »Keine Zeit zu verlieren … Sie sind der Platzanweiser«, fährt er Dreiling an. »Sie sind mir verantwortlich«, er spricht leise, »daß nur unsere Leute in das Boot kommen, verstanden?«
»Jawohl.«
Während die Totenkopfleute mit umgebundenen Schwimmwesten und gezogenen Waffen sich anschicken, in das Boot zu steigen, staut sich am Ausstiegsluk zum Fallreep die Verzweiflung der Massen. Ausgemergelte Gestalten mit kahlen Köpfen und zuckenden Gesichtern rennen gegen ihre Bewacher. Hauptsturmführer Dreiling und ein paar andere fahren herum und mähen die Häftlinge nieder. Zum letztenmal erstickt die Revolte hinter einem Wall von Toten und Verwundeten.
»Los!« zischelt Langenfritz. »Kein langes Abschiedspalaver.« Er drängt die SS-Leute in das Boot.
Die abseits stehenden Mädchen vom Wehrmachtsgefolge, die mit irren Augen die Schießerei verfolgten, begreifen, daß für sie kein Platz ist, und versuchen, sich an die
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