Für alle Fragen offen
einander so lieb, / sie konnten zusammen nicht kommen, / das Wasser war viel zu tief.« Mit dem deutschen Volkslied, das so beginnt, ist der Inhalt der meisten erotischen Geschichten der Weltliteratur bereits angedeutet: Immer hören wir von zwei Menschen, die zusammen sein wollen und nicht zusammen sein können, weil sich die Welt ihrer Liebe widersetzt. Dies ist auch das Thema des Romans Die Verlobten von Manzoni, der in den zwanziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts geschrieben wurde.
Die Handlung des Romans spielt in der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts in der Lombardei. Also ein historischer Roman? Gewiss, der farbenprächtig und anschaulich dargestellte Hintergrund ist historisch. Aber erzählt wird vor allem die so schlichte wie aufregende Geschichte zweier junger und armer Dorfbewohner,
die sich lieben und schon verlobt sind und die dennoch nicht glücklich sein können. Es sind die Menschen ihrer Umgebung, die aus verschiedenen Gründen ihr Zusammenleben verhindern wollen und lange Zeit hindurch auch verhindern.
Wie immer der Roman Die Verlobten beurteilt wurde, er galt sofort als ein innovatives, ein bahnbrechendes Werk. Doch worin besteht das Neuartige, das die Weltliteratur Manzoni zu verdanken hat?
Es sei nur einer der Faktoren genannt: Manzoni war ein Meister der Psychologie, und dies lange bevor es die Psychologie als moderne Wissenschaft überhaupt gab. Er hat in den Verlobten eine Fülle glänzender Porträts geschaffen, die oft nachgeahmt und im Grunde nie übertroffen wurden. Er hat vor allem gezeigt, wie man in einem Roman Schicksale einzelner Menschen mit dem historischen, genauer: mit dem zeitgeschichtlichen Hintergrund verflechten kann.
Wenn sich aus der Geschichte der beiden jungen Menschen, die sich in der Welt um Mailand behaupten wollen, eine Moral ergibt, dann ist es die denkbar schlichteste. Sie lautet: Schlecht und verwerflich ist eine Welt, die die
Liebe nicht duldet, ja sie sogar zu bekämpfen versucht.
Giuseppe Verdi meinte, dieser Roman seines Landsmanns sei »ein Trost für die Menschheit«. Und ein Deutscher glaubte, dass der Roman des Italieners »alles überflügelt, was wir in dieser Art kennen«. So wurde Manzonis Buch von einem gerühmt, der niemals leichtfertig lobte – von Goethe.
Ich habe Anna Seghers allerlei zu verdanken. Dazu gehört mit Sicherheit auch die nachdrückliche Empfehlung des Romans Die Verlobten von Alessandro Manzoni.
Werden Sie mir zustimmen, dass in den letzten zehn Jahren in der deutschen Literatur kein Schelmenroman entstanden ist, der einem Vergleich mit Thomas Manns Felix Krull standhält? Wenn ja, warum ist das so?
Ja, das ist schon richtig, nur ist die Einschränkung auf den Begriff »Schelmenroman« nicht nötig. Denn es gibt seit Thomas Manns Tod im Jahre 1955 keinen einzigen Roman, der mit den seinigen verglichen werden könnte. Warum? Das möchte ich auch wissen. Vielleicht genügt vorerst die simple Antwort, dass Genies überall sehr selten zu haben sind. Leider.
Was ist das Besondere an Thomas Bernhards Roman Holzfällen, und wo liegt die Bedeutung des Autors für unsere Zeit?
Der große Österreicher Thomas Bernhard, der 1989 im Alter von achtundfünfzig Jahren gestorben ist, war unheilbar krank. Er konnte nur mit seiner Krankheit oder gegen sie leben, also angesichts des Todes oder gegen den Tod.
Er konnte nicht existieren, ohne zu schreiben; und er wollte nicht schreiben, ohne sich gegen das Elend seiner und unserer Existenz zu empören. Aber zunächst einmal zeichnen sich Bernhards Romane, Erzählungen und Theaterstücke durch ihre schroffe, ihre hochmütige Unvollkommenheit aus. Die Vorstellung, es sei seine Aufgabe, etwas Perfektes zu liefern oder auch nur anzustreben, hätte er mit Sicherheit als absurde Zumutung empfunden oder gar als Unverschämtheit zurückgewiesen. Seine Theaterstücke bestehen aus Monologen, seine Geschichten sind Romanfragmente, seine Romane erweisen sich als lange Erzählungen. Und allesamt sind sie Bruchstücke einer einzigen Rebellion.
In allem, was er publizierte, manifestiert sich seine Selbstverteidigung. Darüber hinaus
verfolgen diese Arbeiten keine Absicht, sie haben kein Ziel und keinen Zweck, sie entspringen keiner Idee und keinem Programm. Bernhard wollte nichts verändern, er gehörte nicht zu den Aufklärern, er war kein Weltverbesserer. Den Gedanken, der Mensch sei erziehbar, hielt er bestenfalls für läppisch. In seinem letzten, erst posthum veröffentlichten Interview
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