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Für alle Fragen offen

Titel: Für alle Fragen offen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Reich-Ranicki
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besonderer Vorliebe jene beobachtet, deren Existenz ihn offenbar am meisten beglückt und am meisten beunruhigt: kleine Kinder und sehr alte Menschen.

    Und weil ihn das Leben fasziniert, ist in seinen Geschichten der Tod, auch wenn er diese Vokabel nur zögernd verwendet, stets gegenwärtig. Zweierlei kann Updikes Held nicht verstehen: dass er wird sterben müssen und dass es unzählige Menschen gibt, die leben können, ohne an den Tod zu denken.
    Von einer Falle, aus der es keinen Ausweg gibt, ist in Updikes Roman Hasenherz die Rede. Das Elternhaus, die Universität, der Arbeitsplatz, die Liebe, die Ehe, eine Wohnung, ein Hotel, eine zufällige Bekanntschaft – alles kann sich in diesen Prosastücken als Falle erweisen.
    Das Individuum fühlt sich umstellt und bedroht, es sieht sich Mächten ausgeliefert, die es letztlich nicht begreifen kann. Das Leben ist schön. Aber es hat keinen Sinn. Wie alle guten Erzähler kurzer Geschichten geht also Updike aufs Ganze.
     
     
     
     
     
    (Anmerk. der Red.: John Updike starb am 27. Januar 2009.)

    Stefan Zweig schreibt in seinem Essay über Dostojewski: »In die ewige Freistatt aller Unbefriedigten, das Asyl der Vernachlässigten ist er geflohen, in die bunte und gefährliche Welt der Bücher.« Sehen Sie hierzu Parallelen auch in Ihrem eigenen Leben?
    In meiner Jugend herrschte in Deutschland Adolf Hitler. Es ist richtig, dass ich in dieser Zeit in eine Gegenwelt geflohen bin, in die Welt der deutschen Literatur und der deutschen Musik und in die Welt des Berliner Theaters.
    Dostojewski? Ja, ich habe in jener Zeit viel von ihm gelesen, vor allem die Romane Die Brüder Karamasow , Der Idiot und Verbrechen und Strafe , der damals irrtümlich Schuld und Sühne betitelt war. Seitdem halte ich ihn für einen der größten Romanciers der Weltliteratur.

    Welche Romane Honoré de Balzacs sollte man lesen?
    Dieser Balzac, dieser vierschrötige Mann, der aussah wie ein Athlet – er war schon ein Kerl sondergleichen. In seiner Jugend schrieb er Schundromane, die nicht viel Geld brachten, dann versuchte er sich als Verleger und Druckereiunternehmer und scheiterte kläglich. Doch bald entwarf er sein Hauptwerk, einen geradezu gigantischen epischen Kosmos, der aus hundertsiebenunddreißig Romanen bestehen sollte, von denen jedoch nur rund neunzig vollendet wurden. Die Comédie humaine (der Titel spielt auf Dantes Göttliche Komödie an) sollte das Gesellschaftsbild Frankreichs nach der Revolution von 1789 veranschaulichen.
    Es ist schon lange her, dass ich diesen herrlichen Schriftsteller, einen der größten der Weltliteratur, gelesen habe – natürlich nicht alle seine Romane und Erzählungen. Geschildert werden Adlige, Bürger und Kleinbürger, Soldaten, Geistliche, Verbrecher, Beamte, Bauern, Künstler, Huren. Es sind meist leidenschaftliche und skrupellose Menschen, intelligente Schieber, korrupte Politiker und zynische Journalisten. Den Hintergrund bilden
verschiedene Städte der französischen Provinz, vor allem aber Paris.
    Die Darstellungskunst Honoré de Balzacs ist unvergleichbar. Sie fasziniert die Menschen in allen Ländern der Welt, natürlich auch solche Leser, die von Frankreich nichts wissen wollen, denen Frankreich gleichgültig ist. Aber niemals ist den Lesern der Charakter dieser Figuren gleichgültig, ihre Liebe und Eifersucht, ihr Geiz und ihr Ehrgeiz, ihre Niederlagen und Erfolge. Nichts Menschliches war ihm fremd.
    Die Lektüre Balzacs habe ich mit seinem Roman Verlorene Illusionen begonnen. Im Mittelpunkt der Handlung stehen Journalisten, Feuilletonisten und Kritiker. Der Held des Romans, der Poet und Journalist Lucien Chardon, kommt aus der Provinz nach Paris, wo er sich Lucien de Rubempré nennt. Übrigens hat sich Balzac ebenso wie der von ihm erfundene Lucien selbst nobilitiert. Als man ihn jedoch darauf aufmerksam machte, dass er gar nicht von der aristokratischen Familie der de Balzac abstamme, soll er knapp geantwortet haben: »Umso trauriger für diese Familie.« Einer der Höhepunkte des Romans ist Luciens Liebe zu der Schauspielerin Coralie.
Ich habe diese Geschichte vor siebzig Jahren gelesen und Coralie nie vergessen. Das weitere Schicksal Luciens und seinen Tod erzählt Balzac in dem Roman Glanz und Elend der Kurtisanen , der Fortsetzung der Verlorenen Illusionen . Von Oscar Wilde stammt das Wort: »Der Tod des Lucien de Rubempré ist eine der größten Tragödien meines Lebens.«
    Einer seiner nach wie vor erfolgreichsten Romane, der auch

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