Für immer am Meer - Henry, V: Für immer am Meer
Orangetöne wie auf dem Rummelplatz. Manche Leute gaben ihren Hütten sogar Namen: »Auster«, »Atlantikblick«, »Walhalla«. Nichts besonders Originelles, aber es trug zu dem Gefühl bei, dass es sich um eine Gemeinschaft handelte, dass jede Hütte ein Zuhause weit weg von daheim darstellte.
Roy gefiel dieses Durcheinander, diese entlang des Strands aufgereihte bunt zusammengewürfelte Ansammlung ver rückter Häuschen. Er kannte jedes einzelne von ihnen, ihre Eigenheiten, ihre Geschichte und wem sie über die Jahre gehört hatten. Wenn eines verkauft wurde, wunderte er sich nie über die astronomische Summe, die es einbrachte. Es war im ganzen Land dasselbe, wenn man der Sonntagsbeilage der Zeitung glauben durfte, und diese Hütten hier lagen preislich sogar über dem Landesdurchschnitt, da sie geräumig genug waren, um darin zu übernachten, wenn man nichts gegen Etagenbetten und heulenden Wind hatte. Sie waren nach wie vor ziemlich schlicht ausgestattet, aber es gab immerhin Strom und fließendes Wasser, und nachts blinkten Lichterketten über den Eingangstüren. Aber obwohl die Hütten keinerlei Luxus boten, rissen die Leute sich darum, sie zu erwerben. Im Maklerbüro lag eine richtige Warteliste aus. Wenn neue Eigentümer in eine Hütte einzogen, hoffte Roy jedes Mal inständig, dass sie sie gut behandelten und sich an die ungeschriebenen Gesetze des Strands hielten.
Er hatte die letzte Farbe aufgebracht, das letzte Schloss geölt, das letzte Stück loser Dachpappe ausgewechselt. Die Hütten waren wieder tadellos in Schuss, die Saison konnte beginnen. Bald würde der Strand mit all seinen Sommergeräuschen zum Leben erwachen. Das Lachen und Gejohle der Kinder, die in der Brandung herumtobten. Das ploppende Geräusch von Gummibällen, die von hölzernen Schlägern abprallten. Der Geruch nach glimmender Holz kohle und der Duft von gebratenem Fleisch. Das Geknatter des Hubschraubers der Küstenwache auf seinem Patrouillenflug, der niedrig über den Strand flog, nur um sogleich wieder aufzusteigen und sich die nächste Bucht vorzunehmen.
Roy verbrachte den Vormittag damit, eine neue Preisliste an seiner Hütte anzubringen. Er arbeitete nebenbei auch für die Immobilienfirma, hielt Hütten instand, die sich in deren Besitz befanden, und kümmerte sich um die Vermietung. Außerdem vermietete er Strandmuscheln und Liegestühle. Abends fuhr er oft mit anderen Anglern aufs Meer hinaus, um Seebarsch zu fangen. Das befriedigte den inneren Hemingway vor allem der Männer unter ihnen. Das Angeln bot ihnen etwas, das sie zusammenschweißte. Frauen entwickelten kaum jemals eine solche Leidenschaft für das Angeln, und die wenigen, die mit hinausfuhren, wunderten sich eher über die Faszination, die es auf ihre Männer ausübte. Sie fanden es meist einfach langweilig, kauften sich den Barsch lieber an dem umgebauten Eiswagen, der jeden Abend die Küstenstraße entlangfuhr und Krabben und Hummer anbot.
Roys Handy klingelte in der Tasche seiner Shorts. Noch ein Grund für die Beliebtheit dieses Strands: guter Empfang für die mit Blackberrys bewaffneten Karrierefritzen, die immerzu im Kontakt mit ihrem Büro stehen mussten. Roy konnte darin nicht den geringsten Sinn erkennen. Aber das schien der Gang der Dinge zu sein.
Jane Milton war am Apparat. Als ihre warme Stimme durch den Äther tanzte, tat Roys Herz einen kleinen Satz. Er mochte Jane. Sie zahlte immer pünktlich und drängelte ihn nie mit irgendwelchen Arbeiten. Sie behandelte ihn wie ihresgleichen und nicht von oben herab wie einige der Wichtigtuer.
»Roy, ich bin’s, Jane. Ich bin gerade bei einer Freundin in London. Wie ist das Wetter bei euch?«
»Ich glaube, es bleibt die ganze Woche schön.« Roy hatte keine Ahnung, ob das stimmte. Das Wetter hier hatte seinen eigenen Willen. Aber es war das, was sie hören wollte.
»Wunderbar. Dann komm ich heute Nachmittag. Da habe ich ein paar Tage Ruhe, bis am Wochenende der Trubel losgeht. Sind schon viele da?«
»Bis jetzt nur die Dauergäste.«
Ein paar hartgesottene Surfer waren schon mit ihren Brettern draußen. Das Wasser war immer noch eiskalt. Erst im September würde es richtig warm sein.
»Gut.«
Sie klang ein bisschen angespannt.
»Alles in Ordnung, Jane?«
Sie seufzte.
»Das wird wohl mein letzter Sommer werden, Roy. Ich habe so lange durchgehalten, wie es unter den Umständen möglich war, aber ich werde verkaufen müssen.«
Er ließ den Blick zu ihrem Häuschen schweifen. Es war in
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