Fuer immer mein - Mechthild Kaysers erster Fall
gelaunt in die sonnige Welt. An einem solchen Tag war es schön zu leben. Sie schlenderte durch die Wielandstraße und erreichte den Markt. Überall standen von winterlichen Qualen befreite Menschen und plauschten miteinander. Beinahe sah es aus wie eine friedliche, dörfliche Idylle. Nur eine Handvoll abgemagerter und ungepflegter Junkies an der Gedenktafel für die Drogentoten des Viertels holte einen in die Realität dieses schwierigen Stadtteils zurück.
Früher war dies ein gut- bis spießbürgerliches Bremer Quartier gewesen. In den fünfziger und sechziger Jahren wohnten hier noch alteingesessene Ostertorianer, die ihr kleinbürgerliches Leben in aller Beschaulichkeit führten. Damals gab es noch keine Kneipen, nur sogenannte Gaststätten. Und deren Zahl war begrenzt. Am Sielwall, eine der Stichstraßen zu den größeren, ehemaligen Torwegen der Stadt, waren es nur zwei. Die eine am oberen Ende, die von dem blinden Eickmeyer geführt wurde und aus der Kinder für ihre Väter noch Bier in der Kanne holen konnten. Die andere am unteren Ende, hinter deren verbleiten Buntglasfenstern sich damals die Taxifahrer verköstigen ließen.
Als erstes störte die Lila Eule die vermeintliche Ruhe. Als Treffpunkt der Linken und progressiven Kräfte wurden hier wunderbare Jazzkonzerte und musikalische Experimente aufgeführt. Ende der sechziger Jahre kamen hier neben dem Revolutionär Rudi Dutschke auch viele, später populärere Künstler auf die Bühne. Der Komiker Otto Waalkes und die damals noch kaum bekannte Rockgruppe Scorpions gaben hier ihre Debüts.
Die alten Ostertorianer konnte man auf den Märkten im Viertel treffen, und ihre offene, herzliche Art führte oft zu einem ausgedehnten Plausch über die vergangenen Zeiten im Viertel. Schöne Geschichten aus dem ehemals ruhigen Stadtteil konnte man sich von ihnen erzählen lassen. Wie von der Krankenschwester Liesel, die die Huren in Bremens einziger, legalen Bordellstraße, der Helene, betreute. Liesel wohnte in einer der bürgerlichen Straßen. Und als sie ihr erstes Kind bekam, besuchten sie die Damen der Helenenstraße, um ihr Geschenke zur Geburt zu bringen. Im Gänsemarsch kamen die aufgetakelten Huren in ihren teuren Mänteln die Blücherstraße hereinspaziert und überbrachten ihre Glückwünsche. Oder von Paul, dem Seemann, der auch nach seinem Ruhestand seiner Gewerkschaft treu geblieben war und für sie als Kassierer die Monatsbeiträge persönlich abholte. So auch von einer Seemannswitwe, die ihm oben auf der Treppe stehend die Tür öffnete und dabei ihr Holzbein verlor, das Paul direkt vor die Füße purzelte. Wie selbstverständlich hob er es auf und befestigte es wieder an den Lederriemen, wobei er der Witwe unstrittig unter den Rock musste. Wie immer erweckten die alten Geschichten den Eindruck, als wenn früher alles ruhiger und einfacher war.
Das Ende der Beschaulichkeit wurde mit einer stadtplanerischen Fehlentscheidung eingeläutet. Quer durch das Viertel sollte eine Hochstraße, die sogenannte Mozarttrasse, gebaut werden, und um die dazu erforderlichen Aufkäufe von Häusern durch die Stadt nicht zusätzlich zu verteuern, wurde ein Sanierungsstop verhängt. Erforderliche Modernisierungen blieben somit aus, und der vorhandene Wohnraum verkam zusehends und wurde immer preiswerter. Anfang der siebziger Jahre wurde die Universität gegründet, und Tausende von Studenten suchten neben eingewanderten Ausländern, vornehmlich Türken, günstigen Wohnraum in der Stadt. Zeitgleich zu den großen gesellschaftlichen Umwälzungen etablierte sich in diesem Stadtteil neben dem hohen Anteil von Ausländern die intellektuelle Elite der sogenannten Roten Kaderschmiede Uni Bremen und bildete die Basis für die subkulturelle Entwicklung eines ganzen Stadtteils. Die kritischen Schülerbewegungen der voruniversitären Zeit trafen für sie gewinnbringend auf das große studentische Potential, das ihren Forderungen Nachdruck verlieh. Und umgekehrt. Demonstrationen und zunehmend gewalttätig verlaufende Auseinandersetzungen mit der Obrigkeit waren die Folge. Die von der Stadt ignorierte Forderung der Jugend nach einem Freizeitheim in ihrem Stadtteil führte zur Besetzung eines leerstehenden Gebäudes im Viertel. Obwohl die Stadt nachgab und eine erhebliche Summe für den Aufbau eines Jugendzentrums den Besetzern zur Verfügung stellte, scheiterte das Projekt. Statt das Geld für die Renovierung des Gebäudes zu nutzen, versoffen und verkifften einige der älteren
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