Fuer immer mein - Mechthild Kaysers erster Fall
Es zeichnete sich schon am gestrigen Freitagnachmittag ab, dass das Wochenende besonders schön werden könnte. Alle Menschen in Bremen warteten nach diesem unangenehmen Winter auf Frühling und hofften schon lange, dass er sich, wie in manch anderem Jahr, auch in diesem März von seiner besten Seite zeigen würde.
Das norddeutsche Schmuddelwetter brachte meistens keinen richtigen Winter mit viel Schnee und Eis und strahlendblauem Himmel zustande. Auch in diesem Jahr hatte es viel Regen gegeben, graue Wolken und höchstens mal überfrierende Nässe, die Fußgänger und Autofahrer nervte. Nur an einem oder zwei Tagen war so viel Schnee gefallen, dass die Kinder an den Hängen des Osterdeichs rodeln konnten.
Sehnsüchtig hatten alle dieses Wochenende erwartet und hofften inständig, dass der Wetterbericht sich nicht täuschen würde. Und er behielt recht. Das Ende der Winterdepression schien erreicht zu sein. Ein hellblauer Himmel und eine zwar noch tiefstehende, aber im Verhältnis zu den zurückliegenden tristen Tagen dennoch deutlich wärmende Sonne beglückte die Menschen und holte sie aus ihren Löchern.
Das Café Sand an der Weser hatte am Vorabend im Regionalfernsehen bekanntmachen lassen, dass es die Pforten am anderen Flussufer öffnen würde und den dazugehörigen Fährbetrieb wieder aufnahm. Die Aufnahme des Fährbetriebs wirkte wie ein geheimes Signal. Die zahlreichen Kneipen und Restaurants der Stadt erneuerten ihre Konzessionen für die Außengastronomie. Die Leute aus den angrenzenden Stadtteilen Ostertor und Steintor kramten nach ihren Sonnenbrillen, unter den dicken Jacken wurden T-Shirts angezogen, und die ersten türkischen Jugendlichen brausten mit ihren BMW-Cabrios den Ostertorsteinweg, Bremens heimliche Vergnügungsmeile, entlang und ließen ihre Motoren vor den Terrassen der Kneipen und Cafés aufheulen.
Die Menschen waren wie ausgewechselt. Überall sah man fröhliche Gesichter, übertrieben freudige Gesten bei sich begrüßenden Menschen, und Nachbarn, die, auf den Eingangsstufen ihrer Häuser sitzend, entspannte Unterhaltungen im Sonnenschein führten oder dort Zeitung lasen, allerdings noch mit einem vor den kalten Steinen schützenden Kissen unter dem Hintern.
Die Bremer brauchten nicht viel Sonne, um sich sommerlich zu geben. Als echte Norddeutsche waren sie Kälte und viel Niederschlag gewohnt. Wenn hier das Thermometer einmal die 16-Grad-Marke überstieg und die Sonne herauskam, glaubte man sich schon in einer mediterranen Umgebung zu befinden. Alle bewegten sich langsamer als sonst, Jacken wurden aus- und wieder angezogen, um die ersten Sonnenstrahlen auf die winterlich weiße Haut zu lassen, bis es einem wieder zu kühl wurde. Bei Pepe im Eiscafé herrschte Hochbetrieb, und sein Oberkellner Bruno tänzelte gekonnt wie eh und je mit einem vollen Tablett zwischen den fahrenden Autos auf dem Ostertorsteinweg hindurch, um die auf der anderen Straßenseite liegende Terrasse zu bedienen. Die wenigen Tische, die direkt auf dem Gehsteig vor dem Café standen und meistens im Schatten lagen, waren wie immer von Künstlern, Freaks und solchen, die es werden wollten oder sich dafür hielten, besetzt. Der alte Marco philosophierte laut mit seiner verlebten Stimme cora publico, und sein befreundeter Bildhauer sah den jungen Mädchen nach. Neben der Litfass-Kneipe hatte sich der Bio-Markt aufgebaut, und die Kunden nahmen sich wieder Zeit, um sich über die verschiedensten angebotenen Produkte auszutauschen. Olivenöl und Käse waren wie jedes Jahr Hauptgesprächsthema.
Auch Mechthild Kayser konnte diesem schönen Sonnabendvormittag nicht widerstehen und stand nun auf der Treppe vor ihrem Haus in der Humboldtstraße. Die ungewohnte Sonne blendete sie derartig stark, dass sie ihre Augen zusammenkneifen musste, bis sie endlich ihre Sonnenbrille in der Umhängetasche gefunden hatte. Das herrliche Wetter weckte in ihr die Lebensfreude, und so verharrte sie noch einige Zeit auf den Stufen, bis sie sie endlich mit einem Lächeln im Gesicht herunterschritt und sich auf den Weg zum Ziegenmarkt im Steintor machte. Einen besonderen Grund hatte sie eigentlich nicht, das Haus zu verlassen. Aber wenn bei den ersten warmen Sonnenstrahlen das ganze Viertel auf den Beinen war, durfte man einfach nicht fehlen. An einem Tag wie diesem brachte man seine Freude über das Ende der Depression damit zum Ausdruck, dass man herumschlenderte und sehen und gesehen werden wollte. Auch Mechthild blickte entspannt und gut
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