Gabriel Labert
bekannte kulturpolitische Monatsschrift »Europe« veröffentlichte im Jahre , zum hundertsten Todestage des Schriftstellers, ein umfangreiches Sonderheft »Alexandre Dumas«, und legte der Marxist Maurice Bouvier-Ajam eine Studie mit dem Titel »Alexandre Dumas oder hundert Jahre später« vor.
Diese intensive Beschäftigung mit unserem Autor kam einer Neuentdeckung und Neubewertung seines Lebens und seines literarischen Werkes gleich. Wird es auch niemandem einfallen, die durch die vordergründige Orientierung und die Beschränkung auf das außergewöhnliche Abenteuer gesteckten Grenzen dieses Schriftstellers zu übersehen, so ist doch nicht von der Hand zu weisen, daß Dumas seine Zeit sehr kritisch gesehen und immer an der politischen Entwicklung seiner Heimat teilgenommen hat. Wenige Wochen nach der Julirevolution bescheinigte man ihm, daß er sich als »hervorragender Patriot von Paris« ausgezeichnet habe. versuchte er auf die politische Bühne zurückzukehren. Als Napoleon III. nach seinem Staatsstreich an der Macht ist, zieht es Dumas vor, im Ausland zu leben. Ein echtes Interesse am gesellschaftlichen Fortschritt verbindet sich bei ihm mit einer liberalen und – wie er immer wieder betont – republikanischen Grundhaltung. Deshalb gelingt ihm auch in einigen Werken der Durchbruch zu einer kritisch-realistischen Gestaltung, die etwa im »Gabriel Lambert« im Ansatz zu erkennen ist.
Auch diese Geschichte stellt wieder einen Außenseiter, ein merkwürdiges Schicksal in den Mittelpunkt. Der Autor wird zur Darstellung einer Reihe sonderbarer, ungewöhnlicher Konstellationen verleitet – doch entsteht hier das Bild einer im Umbruch begriff enen Gesellschaft, wie es deutlicher und instruktiver kaum zu entwerfen ist. Die verzweifelte Anklage, mit der sich Gabriel angesichts des Todes an seine Richter wendet, trifft alle unehrenhaften, durch Betrug und Spekulation an die Macht gekommenen Bourgeois: »Ich wollte reich werden – ich wollte auch reich werden, ich wollte auch ein Haus haben, Wagen und Pferde und einen Platz in der Oper. Und deshalb soll ich sterben. Wie sind denn alle die anderen reich geworden, die Bankiers, der Abgeordnete, der mir Versprechungen gemacht, der Richter, der mich verurteilt hat … Sie verachten mich, weil ich Geld gemacht habe – und was haben sie getan? Sie haben spekuliert, sie haben gestohlen, geraubt, gemordet; aber einer deckt den anderen, daß nichts laut wird von ihren Verbrechen.« Durch die gesellschaftlichen Umstände selbst zum Verbrechen verleitet, wird Gabriel das Opfer einer Entwicklung, die wie ihn damals Hunderttausende Franzosen ruinierte: Das Wolfsgesetz »jeder gegen jeden« betraf nicht nur die »oberen Kreise« im Kapitalismus der »freien Konkurrenz«, sondern wirkte sich in allen Kreisen der Bevölkerung aus.
Bei Dumas spiegelt sich wie bei vielen seiner Zeitgenossen eine Ideologie wider, die auf Veränderungen und Reformen im Rahmen der bestehenden kapitalistischen Ordnung hoffte: Dumas läßt auf Grund seiner Erfahrungen in der Schreibkanzlei des nach der Julirevolution von inthronisierten Bürgerkönigs Louis-Philippe, derzeit noch Herzog von Orléans, seinen Helden Gabriel alle Hoff nungen auf ihn setzen. Wenn der König ihn nicht begnadigte, würde es sicher der Herzog tun. »Jeder spricht von seinem guten Herzen«, heißt es bei Dumas. In der Tat erschien nicht nur der die politische Herrschaft anstrebenden Finanzoligarchie die Dynastie Orléans, die zu einem Bündnis mit der Großbourgeoisie bereit war, als die einzig mögliche Alternative zur Restauration der Bourbonen. Auch große Teile des Volkes setzten ihre Hoffnungen auf einen politischen Wandel, durch den die Macht der Bourbonen gebrochen werden sollte. Nach dem Machtantritt Ludwigs XVIII. im Jahre und unter seinem Bruder Karl X. war ein ganzes System von Unterdrückungsorganen geschaffen worden, deren Aufgabe es war, jede Art von Opposition im Volk auszuschalten. wird die »brigade sûreté«, die berüchtigte Sicherheitspolizei, geschaff en, deren Allmacht im Staat fast unumschränkt war und die unter anderem Jean Valjean, den großen Helden aus Victor Hugos Roman »Die Elenden«, zu einem ständig Gehetzten und Gejagten machte. An der Spitze dieser Geheimpolizei stand der vom Staat begnadigte und wegen seiner Brutalität und rücksichtslosen Verfolgung aller demokratischen Elemente in den zwanziger
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