Gabriel Labert
1. Kapitel
Der Galeerensklave
Im Mai war ich in Toulon; ich bewohnte dort eine kleine Bastide, die mir einer meiner Freunde zur Verfügung gestellt hatte.
Diese Bastide lag ungefähr fünfzig Schritt von dem Fort Lamalgue entfernt, gerade der berühmten Schanze gegenüber, die im Jahr das Glück des jungen Artillerieoffiziers emporsteigen sah, der später General Bonaparte und endlich Kaiser Napoleon war.
Ich hatte mich in der lobenswerten Absicht zu arbeiten zurückgezogen. In meinem Kopf wogte ein sehr düsteres, sehr furchtbares Drama, das ich von ebendiesem Kopf auf das Papier übertragen wollte.
Dieses so furchtbare Drama hieß »Kapitän Paul«.
Doch ich bemerkte eines: daß man, um konzentriert arbeiten zu können, ein kleines, enges Zimmer und ein durch dunkle Vorhänge gedämpftes Tageslicht braucht. Die weiten Horizonte, das unabsehbare Meer, die riesigen Gebirge, das alles, besonders wenn es in die reine, goldene Luft des Südens getaucht ist, das alles führt geradenwegs zur Beschauung, und nichts entfernt den Menschen mehr von der Arbeit als die Beschauung.
Die Folge davon war, daß ich, statt »Kapitän Paul« auszuführen, »Don Juan von Marana« träumte. Die Wirklichkeit wandte sich dem Traum und das Drama der Metaphysik zu.
Ich arbeitete also nicht, wenigstens nicht bei Tage.
Ich beschaute, und ich gestehe, dieses Azurblau des Mittelmeers mit seinen goldenen Flittern, diese riesigen Berge, so schön in ihrer furchtbaren Nacktheit, dieser Himmel, so tief und düster in seiner Durchsichtigkeit, alles das zu sehen war herrlicher, als das zu lesen, was ich hätte schreiben können.
Es ist wahr, in der Nacht, wenn ich es über mich brachte, meine Fensterläden gegen die versuchenden Strahlen des Mondes zu schließen, wenn ich meine Blicke von dem sternenfunkelnden Himmel abzuwenden vermochte, wenn ich mit meinen Gedanken wieder eins war, errang ich die Herrschaft über mich zurück. Doch wie ein Spiegel hatte mein Geist den Widerschein der Bilder des Tages bewahrt, und es waren nicht mehr menschliche Geschöpfe mit ihren irdischen Leidenschaften, die mir erschienen, es waren schöne Engel, die auf Befehl Gottes mit einem Flügelschlag diese endlosen Räume durchzogen; es waren Geächtete, höhnische Dämonen, die, auf einem nackten Felsen sitzend, die Erde bedrohten; es war endlich ein Werk wie die »Göttliche Komödie«, wie das »Verlorene Paradies« oder wie »Faust«, das erschlossen werden wollte, und nicht mehr nur irgendeine Allerweltsdichtung.
Leider war ich weder Dante noch Milton, noch Goethe. Und wenn der Tag kam, zerstörte er mir die Arbeit der Nacht. Der Morgen brach an. Ich wurde durch einen Kanonenschuß geweckt und sprang aus dem Bett.
Ich öffnete mein Fenster, Lichtströme bemächtigten sich meines Zimmers und trieben alle die armen, über den hellen Tag erschrokkenen Gespenster meiner Schlaflosigkeit vor sich her. Da sah ich majestätisch einen prachtvollen Dreimaster, die »Triton« oder die »Montebello« auf der Reede schwimmen; und direkt vor meiner Villa, als geschähe es zu meiner Unterhaltung, ließ er seine Mannschaft manövrieren und seine Kanoniere Übungen vornehmen.
Dann kamen die Tage des Sturms, die Tage, wo der so reine Himmel sich mit düsteren Wolken verschleierte, wo das so azurne Mittelmeer aschgrau wurde, wo der so sanfte Wind sich in einen Orkan verwandelte.
Da war dann nicht mehr der weite Spiegel des Himmels; die so ruhige Oberfläche begann zu kochen wie an dem Feuer eines unterirdischen Ofens. Die Wellen wurden zu Bergen. Die sanfte blonde Amphitrite schien, wie ein empörter Riese, den Himmel erklettern zu wollen, krümmte und rang die Arme in den Wolken und heulte mit jener mächtigen Stimme, die man nicht mehr vergißt, wenn man sie einmal gehört hat.
Heulte, daß mein armes Drama in Fetzen ging.
Ich klagte eines Tages bei dem Hafenkommandanten über diesen Einfluß der Umwelt auf meine Einbildungskraft und erklärte, ich wäre so müde, gegen diese Eindrücke anzukämpfen, daß ich mich als besiegt bekenne und entschlossen sei, vom nächsten Tag an die ganze Zeit, die ich noch in Toulon bleiben würde, nichts als ein beschauliches Leben zu führen.
Im Verlauf des Gesprächs fragte ich ihn, an wen ich mich wenden könnte, eine Barke zu mieten. Eine Barke war die erste Notwendigkeit des neuen Lebens, das mich der Geist in seinem Sieg über die Materie anzunehmen zwang.
Der Hafenkommandant antwortete mir, er werde an mich
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