Gabriel Lambert
Zeit hob ich den Stein auf und bemächtigte mich des Briefes, und seltsamerweise nicht ohne eine gewisse innere Bewegung.
Ich begab mich wieder in meine Wohnung.
Dieser Brief war auf ein grobes Schulpapier geschrieben, aber sau-ber und mit einer gewissen Zierlichkeit zusammengelegt.
Die Schrift war klein, fein und von einem Charakter, der einem Schreiber von Profession Ehre gemacht hätte.
Der Brief war überschrieben: »An Herrn Alexandre Dumas.«
Dieser Mensch hatte mich also auch erkannt.
Rasch öff nete ich den Brief und las wie folgt:
»Mein Herr,
ich habe gestern Gesehen, wie ser Sie sich anstrenkten, Mich zu erkennen, und Sie mußten sehen, wie ser ich Mich anstrengte, nicht erkant zu werden.
Sie begreifen, daß unter allen Temütigungen, denen Wir preisge-geben sind, eine der Größten diejenige ist, daß Wir uns, Unserer Würde entgleidet, wie wir dies sind, einem Manne gegenüber be-fi nden, den wir in der Gesellschaft getroff en haben.
Ich habe Mir also das Fieber gegeben, um mir heute diese Temütigung zu ersparen.
Sollten sie einiges Mitleid für einen Unglücklichen empfi nden, der, Er weiß es wohl, nicht einmal ein Recht auf Mitleid hat, so verlangen Sie nicht, mein Herr, daß Ich in Ihren Dienst zurückkehre; ich wage es sogahr, Mir noch mehr von Ihnen zu erbitten: Richten Sie keine Frage an Mich über meine Person.
Im Austausch für diese Knade, um deren Bewilligung ich Sie auf den Knien anfl ehe, gebe ich Ihnen Mein Ehrenwort, daß Ich Ihnen, ehe Sie Toulon verlassen, den Namen mitteile, unter dem Sie Mich getroff en haben; mit diesem Namen werden Sie alles wissen, was Sie zu wissen wünschen.
Haben Sie die Giete, die Bitte desjenigen in Erwägung zu ziehen, der nicht den Mut hat, Sich zu nennen
Ihren ergebensten Diener
Gabriel Lambert«
Wie die Adresse, so war auch der Brief mit der schönsten englischen Handschrift geschrieben; er zeigte eine gewisse Gewandtheit des Stils, obgleich die orthographischen Fehler, die er enthielt, den Mangel an aller Erziehung bezeichneten.
Die Unterschrift war mit einem von jenen verwickelten Federzügen geschmückt, wie man sie nur noch am Ende des Namens gewisser Dorfnotare fi ndet.
Es war eine seltsame Mischung von origineller Gewöhnlichkeit und angeeigneter Eleganz.
Dieser Brief sagte mir im Augenblick nichts, aber er versprach mir für die Zukunft alles, was ich zu wissen wünschte.
Daher fühlte ich mich von Mitleid erfaßt für diese Natur, die er-habener oder, wenn man will, niedriger war als die der anderen.
Lag nicht ein Rest von Größe in seiner Demütigung?
Ich beschloß also, ihm zu bewilligen, was er von mir forderte, und sagte dem Aufseher, weit entfernt zu wünschen, daß man mir Gabriel Lambert zurückgeben würde, hätte ich selbst darum gebeten, mich von diesem Menschen zu befreien, dessen Gesicht mir mißfi ele.
Dann öff nete ich den Mund nicht mehr, und niemand sprach ein Wort von der Sache.
Ich verweilte noch vierzehn Tage in Toulon, und während dieser vierzehn Tage blieben die Barke und ihre Mannschaft in meinem Dienst.
Nur kündigte ich im voraus meine Abreise an.
Ich wünschte, daß diese Kunde zu Gabriel Lambert gelangen möge, denn ich wollte sehen, ob er sich des Ehrenworts, das er mir gegeben, erinnern würde.
Der letzte Tag verging, ohne daß mir irgend etwas andeutete, mein Mann schicke sich auch nur im entferntesten an, sein Versprechen zu halten, und ich gestehe, ich machte mir meine Diskretion schon zum Vorwurf, als ich, während ich von meinen Leuten Abschied nahm, Rossignol einen Blick auf den Stein werfen sah, unter dem er Lamberts Brief versteckt hatte.
Dieser Blick war so bezeichnend, daß ich ihn auf der Stelle begriff , und ich antwortete durch eine Gebärde, die sagen wollte: Es ist gut.
Während diese Unglücklichen, verzweifelt darüber, daß sie mich verlassen sollten – die vierzehn Tage, die sie in meinem Dienste zugebracht, waren Festtage für sie gewesen –, davonfuhren, hob ich den Stein auf und fand darunter eine Karte.
Auf dieser Karte las ich: Vicomte Henri de Faverne.
. Kapitel
Das Foyer der Oper
Gabriel Lambert hatte recht; dieser Name sagte mir, wenn nicht alles, doch wenigstens einen Teil von dem, was ich zu wissen wünschte.
»Es ist richtig, Henri de Faverne!« rief ich. »Henri de Faverne, so ist es! Warum, zum Teufel, habe ich ihn nicht wiedererkannt?«
Allerdings hatte ich den, welcher diesen Namen führte, nur zweimal gesehen, doch unter Umständen, unter denen
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