Gabriel Lambert
steht ihm in nichts nach. Gibt doch der Erzähler selbst zu, daß er schon bei der Nennung dieses Namens erschauerte. Die Arbeit als Bagnosträfl ing war in der Zeit der Restauration einer Verurteilung zu völliger Rechtlosigkeit, als Abwürdigung zum Dasein eines Sklaven, der Willkür der Aufseher und Arbeitgeber ausgeliefert, gleichzusetzen. Die »zur Strafe der Kette« verurteilten Schwerverbrecher wurden gezwungen, im Interesse des Staates die schwersten und schmutzigsten Arbeiten in den Häfen, in den Bergwerken und bei der Trockenlegung von Sümpfen durchzuführen. Seit werden sie indes auch als billige Profi tquelle an Kaufl eute, Fabrikanten und Handwerker ausgeliehen. Seit
ist der größte Teil der zum Bagno Verurteilten im Hafen von Toulon konzentriert; um sie maximal ausbeuten zu können, wird sogar eine Art Berufsausbildung (zu Zimmerleuten, Schmieden, Tischlern) in den Strafanstalten eingeführt.
Hier in Toulon erkennt auch der Erzähler in einem Bagnosträfl ing seinen alten Bekannten Gabriel Lambert wieder. Dieses merkwürdige Wiedersehen im Jahre geschieht nun zu einer Zeit, als für die Bagnohaft sich wesentlich leichtere Bedingungen eingebürgert hatten. Durch Nachlässigkeit und Desinteresse der Justizbehörden konnten die Sträfl inge in der Zeit der Julimonarchie eine Reihe von Vergünstigungen für sich durchsetzen; sie stellten für Besucher der Strafanstalten Gebrauchsgegenstände her, die als »Touristen-souvenirs« reißenden Absatz fanden: Hüte, Sandalen, Etuis, holzge-schnitzte Zigarrenspitzen. Die große zeitgenössische Enzyklopädie des Pierre Larousse berichtet, daß sich bestimmte Strafanstalten dadurch in Basare mit einem beachtlichen Umsatz für die Gefangenen verwandelt hatten!
Auch Dumas schildert uns die Gruppe der Galeerensträfl inge als einen fast »gemütlichen« Verein von Gefangenen, die zwar angekettet sind, denen es aber möglich ist, selbst auf die Art ihrer Arbeit Einfl uß zu nehmen, Briefe zu schreiben und unerlaubt mit dem Erzähler Kontakt aufzunehmen. Gabriel Lambert verbüßt seine Strafe unter erträglicheren Bedingungen als seine Leidensgenossen zehn Jahre zuvor. Doch im Widerspruch zwischen dem milderen Strafvollzug und der Tatsache, daß Gabriel an dieser Justiz zerbricht, liegt die tiefe Tragik seines Schicksals begründet. Die Todesstrafe hätte seine Schuld gesühnt. Die Begnadigung reut ihn schließlich, weil er erkennt, daß er für sein Leben gebrandmarkt, aus der Gesellschaft ausgestoßen wurde. Das Bagno ist für ihn keine mildere Strafe, weil es als Strafi nstrument der Bourgeoisie keine Gelegenheit zur Wiedergutmachung seiner Schuld bietet. So ist »Gabriel Lambert«
bei aller Abenteuerlichkeit der Handlung die tragische Geschichte eines jungen Mannes, der den Charakter seiner Epoche verkannt hat und auf Menschlichkeit, Gleichheit und Brüderlichkeit noch dort hoff t, wo sie von der Großbourgeoisie längst verspielt wurden.
Wenn der Leser diesen kleinen Band aus der Hand legt, hat er nicht den »typischen« Dumas, aber doch gewiß etwas vom Besten seiner umfangreichen literarischen Produktion kennengelernt.
Berlin, im Juni
Dr. Hans-Jürgen Hartmann
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