Gäbe es die Liebe nicht
PROLOG
„Mutter!“
Anna MacGregor nahm die Hände ihres Sohnes, als er sich vor sie hockte. Zuerst war sie noch von Panik, Angst und Trauer erfüllt. Doch dann fasste sie sich langsam wieder. Sie würde jetzt nicht die Beherrschung verlieren. Ihre Kinder waren da.
„Caine.“ Ihre Finger waren eisig, aber sie zitterten nicht. Ihr Gesicht war bleich vor Anspannung, die Augen dunkel. Dunkel, jung und ängstlich. So hatte Caine seine Mutter noch nie erlebt.
„Wie geht es dir?“
Sie wusste, was er brauchte, und küsste ihn auf die Wange. „Besser. Jetzt, wo du hier bist.“ Mit der Rechten ergriff sie die Hände ihrer Schwiegertochter Diana, als diese sich neben sie setzte. Einige letzte Schneeflocken glitzerten noch auf Dianas langem dunklen Haar sowie an ihrem Mantel. Anna holte tief Luft und sah Caine an. „Du bist schnell gekommen.“
„Wir haben ein Flugzeug gechartert.“ In dem erfolgreichen Anwalt und jungen Vater steckte im Grunde ein kleiner Junge, der dies alles nicht fassen konnte. Sein Vater war der MacGregor. Sein Vater war unbesiegbar und konnte unmöglich bewusstlos im Krankenhaus liegen. „Wie schlimm ist es?“
Anna war Ärztin und konnte ihm alles genau erklären. Die Rippenbrüche, die Gehirnerschütterung und die inneren Blutungen, die ihre Kollegen gerade zu stillen versuchten. Aber sie war auch Mutter. „Er ist noch im OP“, sagte sie schließlich. „Er ist stark, Caine. Und Dr. Feinstein ist der beste Chirurg, den wir hier haben. Wo ist Laura?“
„Bei Lucy Robinson“, antwortete Diana leise. „Mach dir keine Sorgen.“
Anna brachte ein mattes Lächeln hervor. „Du kennst Daniel. Laura ist seine erste Enkelin. Wenn er aufwacht, wird er sofort nach ihr fragen.“ Und aufwachen wird er, dachte sie.
„Anna.“ Diana legte den Arm um ihre Schwiegermutter. Sie wirkte so schmal und zerbrechlich. „Hast du etwas gegessen?“
„Wie?“ Anna schüttelte den Kopf und stand auf. Drei Stunden. Seit drei Stunden war er jetzt im OP. Wie oft war sie dort gewesen, um ein Leben zu retten, während die Angehörigen des Patienten hier draußen warteten? Sie war Ärztin geworden, um Leid zu lindern. Aber jetzt, wo ihr Ehemann in Lebensgefahr schwebte, konnte sie nichts tun. Nur warten. Wie jede andere Frau. Nein, das stimmte nicht. Sie kannte den OP, die Geräusche, die Gerüche. Sie kannte die Instrumente, die Maschinen und den Schweiß nur zu gut. Sie wollte schreien. Sie verschränkte die Hände ineinander und trat ans Fenster.
Der Schnee fiel inzwischen nur noch spärlich. Als es begonnen hatte zu schneien, waren die Straßen überfroren, und das Schneetreiben hatte einem jungen Mann die Sicht genommen. Sein Auto war ins Schleudern geraten und mit dem geliebten Zweisitzer ihres Mannes zusammengestoßen.
Warum hast du nicht die Limousine genommen, Daniel? Was wolltest du dir mit diesem roten Spielzeug beweisen? Warum hast du nicht auf mich gehört? Ihre Gedanken schweiften ab und kehrten in die Vergangenheit zurück. Hatte sie sich nicht auch gerade deshalb in ihn verliebt? War das nicht einer der Gründe, weshalb sie ihn seit vierzig Jahren liebte? Verdammt, Daniel MacGregor, nie lässt du dir etwas sagen. Fast hätte Anna laut aufgelacht. Wie oft hatte er sich das von ihr anhören müssen.
Als hinter ihr Schritte erklangen, fuhr sie herum. Alan, ihr ältester Sohn, hatte den Warteraum betreten. Noch vor der Geburt ihres ersten Kindes hatte Daniel sich geschwo ren, dass eines Tages einer seiner Nachkommen im Weißen Haus amtieren würde. Und Alan war jetzt kurz davor, seinem Vater diesen Wunsch zu erfüllen. Er nahm seine Mutter in den Arm.
„Er wird sich freuen, dich zu sehen“, sagte sie. „Aber es wird ihm nicht gefallen, dass du deine Frau in ihrem Zustand mitgebracht hast“, fügte sie hinzu und lächelte Shelby an. Ihre Schwiegertochter war hochschwanger. „Du solltest dich setzen.“
„Nur, wenn du es auch tust.“ Ohne Annas Antwort abzuwarten, führte Shelby sie zu einem Sessel. Als Anna sich setzte, reichte Caine ihr einen Kaffee.
„Danke“, murmelte sie und nippte daran. Er war heiß und stark, aber sie schmeckte nichts.
„Rena!“ rief Caine plötzlich und eilte zu seiner Schwester, die gerade mit ihrem Mann um die Ecke des Flurs bog und auf das Wartezimmer zuging.
„Dad?“ fragte sie, als ihr Bruder sie an sich zog.
„Er ist noch im OP.“ Caine sah Justin an. „Ich bin froh, dass ihr kommen konntet. Mom braucht uns alle.“
„Mom.“ Serena
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