Insel aus Stein: Mittsommerglück (German Edition)
1. KAPITEL
P feilschnell schoss das kleine Motorboot über das Wasser und hinterließ eine Schneise aus weißer Gischt auf der ansonsten spiegelglatt daliegenden See. Der Bootsführer, dessen flachsblondes Haar vom Fahrtwind zerzaust wurde, drehte sich grinsend zu Cassie um und rief ihr etwas auf Schwedisch zu. Obwohl sie kein Wort verstanden hatte, schenkte sie ihm ein kleines Lächeln.
Er
konnte schließlich nichts für ihre missliche Lage!
Dann wandte Cassie ihre Aufmerksamkeit wieder der Insel zu, die ihr beim Ablegen am Ufer noch winzig klein erschienen war. Nun jedoch musste sie ihre erste Einschätzung korrigieren. Die mit ausgedehnten Grasflächen und niedrigen Bäumen bewachsene Schäre war zwar alles andere als groß, doch mehr als ausreichend, um dem prächtigen, in Faluröd, dem sogenannten Schwedenrot, getünchten Landhaus, einigen kleineren Nebengebäuden und einem Bootshaus samt Steg Raum zu bieten.
Ein Ort, abgeschieden und in traumhafter Umgebung, der die Kreativität eines jeden Künstlers einfach beflügeln musste. Wie geschaffen also für seinen derzeitigen Bewohner, den erfolgreichen Schriftsteller Dale Prescott alias Cara Stern, wie sein Verlagspseudonym lautete.
Für Cassie hingegen bedeutete der Aufenthalt auf Prescotts Insel vor allen Dingen eines: eine ungeliebte Verpflichtung.
Seufzend lehnte sie sich in ihrem Sitz zurück, schloss die Augen und gab sich für einen Moment der Illusion hin, hinter ihrem Schreibtisch im Verlagsbüro von Dolphin Books zu sitzen und mit Autoren und ähnlich unangenehmen Zeitgenossen nicht mehr Umgang pflegen zu müssen als gelegentliche Anrufe und schriftliche Korrespondenz.
Es ist ja nur für ein paar Tage, sagte sie zu sich selbst. Länger konnte es wohl kaum dauern, ihre Aufgabe zu erfüllen. Ein Auftrag, um den sie sich nicht gerade gerissen hatte. Dummerweise jedoch konnte sie nach dem schrecklichen Fiasko, das vor Kurzem ihre heile Welt ins Chaos gestürzt hatte, nicht wählerisch sein.
Aber so war das Leben nun einmal. Sie war naiv und dumm gewesen und hatte dafür teuer bezahlen müssen. Mehr als teuer, dachte sie bitter. Noch vor weniger als einem Jahr hatten ihr bei ihrem ehemaligen Verlag
Mackenzie
alle Türen offen gestanden. Mit viel Engagement und persönlichem Einsatz hatte sie die Liebesromanreihe
Heartbeats
zum Erfolg geführt, und es war ein unausgesprochenes Geheimnis gewesen, dass ihr der bald frei werdende Posten der Cheflektorin so gut wie sicher war.
Doch dann war Liam Masterson in ihr Leben getreten, ein erfolgreicher junger Autor. Cassies Job war es gewesen, ihn zu betreuen – dummerweise hatte sie diese Aufgabe nicht nur auf das Berufliche beschränkt …
“Das gehört der Vergangenheit an, Cass. Ein Zurück gibt es für dich nicht mehr, versuche endlich, das zu akzeptieren und nach vorne zu blicken.” Doch ihre gemurmelten Worte wurden vom Wind davongetragen und erreichten weder ihr Herz noch ihren Verstand.
Das Boot verlangsamte seine Fahrt, und im gleichen Maße beschleunigte sich Cassies Herzschlag. Nervös fuhr sie sich durch das schulterlange seidige Haar, das schwarz wie das Gefieder eines Raben war. Unterdessen legte der Steuermann geschickt am Steg an, sprang leichtfüßig hinauf und vertäute das Boot. Dann streckte er Cassie die Hand entgegen und nickte ihr aufmunternd zu.
Für einen Moment fühlte sie sich wie erstarrt. Ihr war, als würde sie dazu aufgefordert, blindlings in ihr Verderben zu laufen. Nur mit Mühe schüttelte sie diesen absurden Gedanken ab. Es war ein Teil ihres Jobs. Vielleicht nicht gerade der, der ihr am meisten Freude bereitete, aber dennoch. Sei nicht albern, ermahnte sie sich selbst. Es ist nur eine Insel, kein Gefängnis.
Kurz darauf stand sie mit ihrer Reisetasche und einigen Kisten – eine Lebensmittellieferung vom Festland, hauptsächlich frisches Obst und Gemüse – auf dem Pier und beobachtete, wie das kleine Motorboot in der Ferne verschwand. Als es nur noch als winziger Punkt im endlosen Blau des Meeres auszumachen war, seufzte sie schwer.
Unschlüssig blickte sie sich um. Was nun? Niemand war gekommen, um sie zu begrüßen. Eigentlich kein Wunder, denn der Verlag hatte sie erst für den übernächsten Tag angekündigt. Doch hätte sie das freundliche Angebot der Saunders, die sie während ihres Fluges nach Schweden kennengelernt hatte, ablehnen und lieber die Strapazen einer Überlandreise mit dem Bus auf sich nehmen sollen? Mit dem Wasserflugzeug, das die beiden gechartert
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