Gang nach Canossa: Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer (German Edition)
Baumstämme. Voilà – ich wollte Canossa, jetzt habe ich Canossa. Ich hebe den Daumen, doch ich bin nicht Uma Thurman und auch nicht Hape Kerkeling. Völlig unbeeindruckt rauscht die Landbevölkerung an mir vorbei, und so wackle ich in Super-Slow-Motion weiter, wie ein Taucher mit bleischweren Gewichten auf dem Meeresboden. Es muss großartig aussehen, vermutlich würde ich hervorragend in Monty Python’s «Ministry of Silly Walks» passen.
«Meine Güte, laufen Sie etwa den Jakobsweg?», fragt die besorgte Dame an der Rezeption in Zeven.
«So ähnlich. Ich eröffne gerade einen neuen Pilgerpfad.»
«Verstehe. Herr Gastmann, Sie wohnen im zweiten Stock. Schaffen Sie die Treppen? Wir hätten auch einen Lift …»
Ich muss nach dieser Nummer wohl nicht erklären, warum ich auf meiner Reise in Gasthöfen und Hotels übernachte. Wenigstens abends möchte ich ein bisschen Komfort. Zelten wäre in dieser Jahreszeit keine gute Idee, und ich bin auch nicht scharf darauf, von Kloster zu Kloster zu ziehen. Mit Religion habe ich nicht viel am Hut, da geht es mir wie meinem historischen Vorbild. Was den Reisekomfort betrifft: Heinrich IV. zog nicht allein nach Canossa. Seine Frau, sein kleiner Sohn und seine Diener begleiteten ihn. Am Tagesende wusch man den Tyrannen und wickelte ihn in warmes Fell, damit sich Hochwohlgeboren bloß keinen Schnupfen einfing.
Leider bin ich mein eigener Diener und mein eigener Arzt. Ich massiere die Oberschenkel mit Sportsalbe, werfe eine Schmerztablette ein und spüle sie mit einem kräftigen Schluck Bier runter. Doch was zur Hölle mache ich mit meinem rechten kleinen Zeh? Der Junge ist fast doppelt so groß wie sonst, er sieht aus wie eine Nacktschnecke. Für solche Fälle habe ich ein Schweizer Taschenmesser eingesteckt, das Einzige, was mir von meinem Großvater geblieben ist. Otto kannte keine Schmerzen. Als er mal vom Schützenfest nach Hause kam, legte er sich flach auf die beheizten Kacheln in der Stube und bat meine Oma, sich auf seinen Brustkorb zu stellen – er wollte ihr demonstrieren, wie rüstig er im hohen Alten noch sei. Sie brach ihm dabei zwei Rippen. Zum Thema Schmerzen sagte er mir immer: «Heul nicht, mein Junge, denn wenn du heiratest, ist alles vorbei.» Das Messer hat an der Seite eine winzige Schere zum Ausklappen. Ganz in Ottos Sinne schneide ich beherzt in die Blase, lasse das Wundwasser herauslaufen und desinfiziere mein Werk mit Nordhäuser Doppelkorn aus der Minibar.
Jetzt haben Zeh und Zeven die gleiche Farbe: Orangerot. Ganz Downtown Zeven ist rot geklinkert, das Rathaus, die Fußgängerzone, die Geschäfte in der Innenstadt, und auf die roten Ziegeldächer prasselt kalter Regen. Der Ort ist für zwei große Unternehmen berüchtigt, die vermutlich eine Symbiose eingegangen sind. Das eine ist die Großraumdisco «Meyer’s Tanzpalast», das andere ist die Firma Mapa. Sie produziert Blausiegel, Fromms und Billy Boy. In den Gaststätten der Gegend gibt es noch Clubräume und verrauchte Herrenzimmer, in denen die Senioren Skat kloppen.
Heute Abend findet ein besonderes gesellschaftliches Ereignis statt: Der «Fachverband Schießsport im Kreissportbund Rotenburg/Wümme» trifft sich zur jährlichen Delegiertenversammlung im Landhaus Roose. Die Tagesordnung:
Begrüßung
Grußworte
Bericht des Vorsitzenden
Bericht des Kassenwartes
Bericht der Kassenprüfer
Entlastung der Kassenführung und des Vorstandes
Referat des Schießsachverständigen
Bedauerlicherweise darf ich mir den Vortrag des Sachverständigen nicht anhören. Es geht um die Installation, den Betrieb und die Sicherheit von Schießsportanlagen, ein heikles Thema, da bleiben die Delegierten gerne unter sich. Im Saal bereitet der Referent in Sakko und Krawatte seine Powerpoint-Präsentation vor, und ich lasse den Tag stilecht mit einem Jägerschnitzel ausklingen. Zwei Schützenbrüder essen am Nebentisch.
«Ker, Ker, Ker, ist das traurich.»
«Nich wahr?»
«Keiner macht mehr Vereinsarbeit. Heute ist ja alles Individualismus.»
«Wat willste machen?»
«Da kannste nix machen.»
«Und unser Bundespräsident?»
«Traurich.»
«Eine Blamage.»
«Der hatte nicht das Format.»
«Man mag sich gar nicht mehr vorstellen, dass das mal unser Ministerpräsident war.»
«Und der Gottschalk?»
«Traurich. Ganz traurich.»
«Da hat die ARD ja so viel Zuschauerverlust.»
«Was will der Kerl denn auch? Der soll zurück nach Amerika gehen und fertich!»
«Nee, da guck ich mir lieber ZDF-Küstenwache
Weitere Kostenlose Bücher