Die fünf Leben der Daisy West
Dieses E-Book wurde von der "Verlagsgruppe Weltbild GmbH" generiert. ©2012
1
Ich wälze mich auf der Laufbahn neben dem Fußballfeld und schlage um mich. Der Untergrund ist warm von der Sonne und sieht aus wie Asphalt, aber jetzt merke ich, dass es dieses schwammartige, federnde Zeug ist. Es stinkt, als wäre es gerade neu verlegt worden. Neben meiner rechten Schulter kniet eine Frau und schreit in ein Handy: »Sie heißt Daisy ... ich weiß nicht, wie sie mit Nachnamen heißt!«
Für den Bruchteil einer Sekunde weiß ich es auch nicht.
»Appleby«, ruft ein anderer Lehrer.
»Appleby«, wiederholt seine Kollegin für die Person am Notruftelefon. »Sieht aus wie eine allergische Reaktion auf irgendetwas ...«
»Biene«, versuche ich zu sagen, doch ich bekomme keine Luft, kein Wort kommt heraus.
Meine Gliedmaßen zucken und die umstehenden Mitschüler weichen erschrocken zurück, als wären es Giftschlangen. Mit dem ganzen Körper schnappe ich nach Luft und atme doch nur wenig davon ein. Ich weiß, dass es einer meiner letzten Atemzüge ist.
Als uns die Sportlehrerin aufforderte, draußen um den Platz zu laufen und uns für das Volleyballspiel aufzuwärmen, habe ich mich total gefreut. Ein bisschen Farbe würde mir wirklich nicht schaden. Aber dann ist diese schwarz-gelbe summende Bedrohung aufgetaucht und brachte noch einige Freunde mit. Als ich den vertrauten Schmerz des ersten Bienenstichs spürte, habe ich sofort die Kurzwahltaste 1 gedrückt, und ich hoffe, dass Mason rechtzeitig hier ist.
Langsam werde ich ruhiger. Ich weiß, dass es nun nicht mehr lange dauern wird. Mein ganzer Körper, vom Kopf bis zu den Zehen, entspannt sich. Als die anderen keine Angst mehr haben müssen, getreten oder geschlagen zu werden, rücken sie um mich herum zusammen. Mein Blick springt von einem Gesicht zum nächsten. Sie sind mir alle fremd: Die High-School hat erst gestern begonnen. Niemand aus meiner alten Schule, die bis zur zehnten Klasse ging, ist in meinem Sportkurs.
Die meisten wirken verängstigt. Einige Mädchen weinen. Der Direktor eilt herbei und versucht die Menge zu zerstreuen, aber meine Mitschüler sind wie Magneten. Das Unglück zieht sie magisch an.
»Weg da«, ruft er. »Wir brauchen Platz, damit die Sanitäter durchkommen!« Doch niemand hört auf ihn. Niemand tritt zurück. Stattdessen bilden sie, ohne dass es ihnen bewusst ist, eine Mauer zwischen mir und den Helfern.
Ich hefte meinen Blick auf ein hübsches dunkelhäutiges Mädchen, dessen Schließfach in der Nähe von meinem ist. Sie wirkt freundlich. Durchaus geeignet, um die letzte Person zu sein, die ich sehe. Sie weint nicht, ihr Blick jedoch ist zutiefst bekümmert und drückt echtes Mitgefühl aus. Vielleicht wären wir Freundinnen geworden.
Ich starre sie an und sie starrt zurück, bis meine Augenlider zufallen.
Der Menge stockt der Atem.
»Oh Gott!«
»Tut doch jemand was!«
»Ihr müsst ihr helfen!«, ruft eine Männerstimme.
Ich höre ein Martinshorn. Mit Tennisschuhen bekleidete Füße entfernen sich eilig, wahrscheinlich, um den Sanitätern den Weg zu weisen. Ich frage mich, ob es Mason und Cassie sind oder die echten.
Meine Arme liegen schlaff neben meinem Körper.
»Halt durch, Daisy!«, ruft eine Mädchenstimme. Mir gefällt der Gedanke, dass sie meiner Fast-Freundin gehört, doch ich öffne nicht die Augen, um mich zu vergewissern. Geräusche nehme ich nur noch undeutlich wahr. Die Welt wird zu einem Nichts und bevor ich noch einen weiteren Gedanken fassen kann, bin ich tot.
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2
»Hast du alles, was du brauchst?«, flüstert Mason, als wir zügig durch die Dunkelheit zu dem wartenden Geländewagen gehen. In Frozen Hills, Michigan, ist es mitten in der Nacht und wir stehen kurz vor dem nächsten Umzug.
»Ja.« Ich bin mir sicher, nichts zurückgelassen zu haben außer Möbeln und Kleidung, die man zu dieser Jahreszeit nicht braucht. Schließlich ziehe ich nicht zum ersten Mal um und weiß inzwischen, worauf man achten muss.
»Lass mich den nehmen«, bietet Mason an und deutet auf den Koffer, den ich hinter mir über das Kopfsteinpflaster ziehe. Bereitwillig überlasse ich ihm das Gepäck, weil ich mich doch noch ein wenig wackelig auf den Beinen fühle. Mason greift nach dem Koffer und was sich für mich wie Backsteine anfühlte, scheint für ihn federleicht zu sein. Er wirft ihn oben auf die anderen Gepäckstücke in den Kofferraum und schließt
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