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Garp und wie er die Welt sah

Garp und wie er die Welt sah

Titel: Garp und wie er die Welt sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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den Tisch abräumten, würden sie es wegwerfen (damals,
bevor sie die Küche überhaupt nur betreten durfte). Und wenn der Milchwagen
morgens die Flaschen brachte, dachte Jenny damals, er brächte auch das Geschirr
mit den Mahlzeiten – so sehr glich das Klirren und
Klappern den Geräuschen hinter der geschlossenen Küchentür, wo die Mädchen so
geheimnisvoll mit dem Geschirr hantierten.
    Jenny Fields war fünf, als sie
zum ersten Mal das [15]  Badezimmer ihres Vaters sah. Eines Morgens machte sie es
ausfindig, indem sie dem Duft seines Kölnischwassers folgte. Sie fand eine
dampfende Duschkabine – ziemlich modern für 1925  – , ein eigenes WC ,
eine Reihe von Flaschen, die so anders waren als die Flaschen ihrer Mutter,
dass Jenny glaubte, sie habe den Unterschlupf eines fremden Mannes aufgespürt,
der seit Jahren unentdeckt in ihrem Elternhaus lebte. Und so war es denn ja auch.
    Im Krankenhaus wusste Jenny, wo
alles abblieb, und sie erfuhr auch, wo fast alles – auf ziemlich unmagische Weise – herkam. In Dog’s
Head Harbor, wo Jenny aufgewachsen war, hatte jedes Familienmitglied sein
eigenes Bad, sein eigenes Zimmer und seine eigene Tür mit seinem eigenen
Spiegel an der Innenseite gehabt. Im Krankenhaus war die Privatsphäre nicht
heilig, war nichts ein Geheimnis – wenn man einen
Spiegel wollte, musste man eine Schwester darum bitten.
    Das größte Geheimnis, das Jenny
als Kind je auf eigene Faust hatte erkunden dürfen, war der Keller gewesen mit
dem großen Tongefäß, das jeden Montag mit Muscheln gefüllt wurde. Jennys Mutter
streute abends Maismehl über die Muscheln, und jeden Morgen wurden sie mit
frischem Meerwasser gespült, das durch ein langes Rohr direkt vom Strand in den
Keller lief. Gegen Ende der Woche waren die Muscheln dick und frei von Sand;
sie wurden jetzt zu groß für ihre Schalen, und ihre wulstigen obszönen
Mantelfortsätze ragten ins Salzwasser. Freitags half Jenny der Köchin, sie zu
sortieren: Die toten zogen den Sipho nicht ein, wenn man sie berührte.
    Jenny bat um ein Buch über
Muscheln. Sie las alles über [16]  sie: wie sie sich ernährten, wie sie sich
fortpflanzten, wie sie wuchsen. Sie waren die ersten Lebewesen, die sie ganz
und gar verstand – ihr Leben, ihre Sexualität, ihren
Tod. Menschliche Wesen waren in Dog’s Head Harbor nicht so zugänglich. Im
Krankenhaus spürte Jenny Fields, wie sie verlorene Zeit aufholte; sie fand
heraus, dass Menschen nicht viel geheimnisvoller oder anziehender waren als
Muscheln.
    »Meine Mutter«, schrieb Garp,
»war kein Mensch, der feine Unterschiede machte.«
    Ein Unterschied zwischen Muscheln
und Menschen, der ihr hätte auffallen müssen, war der, dass die meisten
Menschen einen gewissen Sinn für Humor besaßen. Aber Jenny hatte für Humor
wenig übrig. Unter den Bostoner Krankenschwestern kursierte damals ein beliebter
Witz, aber Jenny fand ihn gar nicht lustig. In diesem Witz spielte ein anderes
Bostoner Krankenhaus eine Rolle. Neben dem Boston Mercy Hospital, allgemein
Boston Mercy genannt, in dem Jenny arbeitete, gab es noch das Massachusetts
General Hospital, Mass General genannt. Und als drittes schließlich das
Peter-Bent-Brigham-Krankenhaus, kurz Peter Krank genannt.
    Eines Tages, so der Witz, wurde
ein Bostoner Taxifahrer von einem Mann angehalten, der vom Bordstein auf ihn
zugetaumelt kam und auf der Straße fast in die Knie ging. Das Gesicht des
Mannes war knallrot vor Schmerzen. Entweder war er kurz vorm Ersticken, oder er
hielt den Atem an, jedenfalls fiel es ihm sichtlich schwer zu sprechen. Der
Fahrer öffnete die Tür und half ihm beim Einsteigen. Der Mann legte sich mit
dem Gesicht nach unten und angezogenen Knien auf den Boden vor der hinteren
Sitzbank.
    [17]  »Krankenhaus! Krankenhaus!«,
presste er hervor.
    »Peter Krank?«, fragte der
Fahrer. Das war das nächste Krankenhaus.
    »Viel schlimmer als krank«,
stöhnte der Mann. »Ich glaube, Molly hat ihn abgebissen.«
    Es gab nicht viele Witze, die
Jenny lustig fand, und dieser gehörte gewiss nicht dazu; Peterwitze waren
nichts für Jenny, die sich von dem Thema fernhielt. Sie hatte erlebt, welche
Schwierigkeiten so ein Peter machen konnte; Kinder waren noch nicht das
Schlimmste. Natürlich sah sie Frauen, die keine Kinder wollten und über ihre
Schwangerschaft unglücklich waren. Diese Frauen sollten kein Kind bekommen müssen, fand Jenny – obwohl ihr in erster Linie die Kinder leidtaten, die unter solchen Umständen
geboren wurden. Sie sah auch

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