Gartengeschichten
der nächsten mit Nebenrollen begnügen. Und wie ein Intendant konnte sie sich manchmal nicht entscheiden, wen sie nun mehr liebte: die fulminant auftretenden Feuerwerkstypen, prachtvoll, aber schnell schlapp – zum Beispiel Schwertlilien –, oder die verläßlichen Darsteller, von sanfterer, aber haltbarer Schönheit wie manche Polyantharosen, die den ganzen Sommer unermüdlich Blüten nachschieben. Das ist ein verbreitetes gärtnerisches Dilemma.
Ich habe eine Freundin, die sich in einer bestimmten Zeitspanne im Monat Mai weder von lukrativen Jobs noch von verheißungsvollen privaten Terminen aus dem Garten locken läßt, weil sie darauf wartet, daß ihre chinesischen Päonien aufblühen, riesige, zarte Blütenschüsseln, die schon ein Windhauch oder ein kleiner Regenguß zur Strecke bringt. Ihre volle Schönheit haben sie nur für Stunden. Das ganze übrige Jahr machen sie sich mit furchtbar viel Grünzeug wichtig, nehmen eine Menge Platz weg und leben von der Erinnerung. Meine Freundin pflegt einen Regenschirm über sie zu halten, wenn es nötig ist.
Für solche Extravaganzen hatte meine Mutter nichts übrig. Allerdings brachte sie es fertig, eine von mir geteilte und ausgegrabene Veronica spicata (die einzige Pflanze in meinem Handtuchgarten, um die sie mich je beneidet hat: hohe Stiele mit kegelförmigen lila Pinseln, von denen wie bei einem Kronleuchter sternförmig kleinere Pinsel ausgehen) – mein Vater hatte sie beim Transport abgeknickt undEntsprechendes zu hören bekommen – mittels Stäbchen und Mullbinde zu schienen. Sie wuchs tatsächlich weiter.
Auch die Veronica spicata kam wieder, wie alles. Der Garten erwachte zwei Monate nach dem Tod meiner Mutter ungerührt zum Leben, und ich hörte ihre kommentierende und nachdenkliche Stimme. Schneeglöckchen, die sich aus Steinritzen drängten, Ageratum in dicken Kissen, Krokusse, die geduldig unter der Erde herumgewandert waren und nun an unerwarteten Stellen wieder auftauchten. Eine ihrer stillen Belustigungen war es gewesen, Ausreißer zu finden und darüber nachzudenken, warum sie sich am neuen Platz angesiedelt haben mochten, zumal der oft weit weniger kommod war als der ihnen zugedachte. Ein Kind des Essigbaums war sogar unter dem Haus hindurch in den Vorgarten emigriert. Daß die alle nicht bleiben wollen, wo man sie mal hingepflanzt hat! Das war jetzt wieder so, im verwaisten Garten drängelte es sich allenthalben, gebeten und ungebeten. Maiglöckchen waren zehn Meter in Richtung Gartenzaun vorgerückt, das Blaukissen hatte Sendboten zwischen die Treppenstufen gequetscht, und ein winziger Eibensproß hockte dunkel und ernst im kahlen Rosenbeet.
Dann öffnete die Spalieraprikose an der warmen Südwand ihre ersten Blüten. Das war das schlimmste.
Niemals hatte ich darüber nachgedacht, was mit Gärten nach dem Tod ihrer Besitzer geschieht. Verwaiste Häuser hatte ich oft genug gesehen, ihre seltsame Agonie, die man sich nicht erklären kann. Fensterscheiben, die ohne Außeneinwirkung einfach zerbrechen, Dachziegel, die sich bei Windstille lösen, Regen und Tauben reinlassen und den Dreck sowieso. In jeder Nachbarschaft gibt es solche Häuser, wo sollten sonst Gespenster unterkommen.
Aber was ist mit den Gärten? Vielleicht verwandeln sie sichin kurzer Zeit einfach wieder zurück, es ist ihnen schließlich Gewalt angetan worden, wenn auch sanfte? Ein Garten will immer – immer – etwas anderes lieber wachsen lassen als das, was wir ihm einpflanzen. Das ist seine Natur, und Gärtner sein heißt, sein Stück Erde zu etwas zu bringen, was es von allein nicht täte. Da kann man noch so viel Feng-Shui oder Ökologie bemühen – selbst der gestaltetste und geliebteste Garten wird sich in eine Wildnis mit Brombeersträuchern und sonst noch viel Dornigem verwandeln, wenn er in Ruhe gelassen wird.
Aber man soll sich nicht irren – es dauert herzzerreißend lang, bis ein Garten, ob riesig oder winzig, sich der Spuren seines Gärtners oder seiner Gärtnerin entledigt. Und weil das nicht auszuhalten ist, wenn man die Betreffenden geliebt hat, ist es besser, ihn fremden Händen und Hoffnungen zu überlassen.
Der Sommer kam, ich bezahlte jemanden, der ihren Garten goß, den Rasen mähte und sich um die Bäume kümmerte. Sie hatte Herrn R. gelegentlich beschäftigt und seinen Fähigkeiten mißtraut, was sich dadurch äußerte, daß sie ihn nicht aus den Augen ließ. Seltsamerweise brach er zweimal, als ich mit ihm sprach, in Tränen aus. Sie fehlte ihm
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