Gartengeschichten
entlocken gelernt hat. Man muß das nämlich lernen, und manchmal dauert es lang. Jeder Gartenbesitzer träumt von einem anderen Boden als dem, den er hat. Zum Teil ist das Koketterie, weil eine Pracht, die renitentem Boden entsprossen ist, mehr Beifall bringt als die Üppigkeit in Oberbayern oder in den Tropen, von der man ja weiß, daß sie dort von allein entsteht. Auf mancherlei Art kommt man zu seinem Boden, und oft merkt man erst nach geraumer Zeit, daß man da jetzt hingehört und nicht mehr wegwill. Das heißt aber keinesfalls, daß man ihn kennt, seinen Boden, die Erde, mit der man künftig zu tun haben wird.
Wenn junge Erwachsene zu ihrem ersten eigenen Garten kommen, weil sie einen kleinen Bauplatz dort kaufen, wo sie Arbeit gefunden haben und eine Familie, schauen sie nicht nach dem Boden. Der erste Besitz ist so aufregend, daß kaum jemand sich darum kümmert, woraus er besteht und was der Untergrund versprechen könnte. Wenn die neuen Grundbesitzer schon als Kind mit und in einem Garten gelebt haben, wissen sie, wonach sie schauen müßten: nach Trockenheit und Nässe, lockerem oder lehmigem Boden, Schatten oder Licht. Das kriegt sogar ein gartenhassendes Kind mit,zwangsläufig. Das ist wie lesen lernen. Meist aber schauen sie nur, wo das Klettergerüst hin kann oder ein Gummipool, da wäre ein guter Grillplatz, und man möchte natürlich Blumen und vielleicht einen Zwetschgenbaum. Der Boden? Der ist untendrunter und spielt erst mal keine Rolle. Später werden dann vielleicht ein paar Fuhren sogenannter Mutterboden abgekippt und verteilt, wobei die Mutter des Bodens meistens so wenig bekannt ist wie der Vater. Dafür ist er teuer.
Da machen wir Rollrasen hin, wird beschlossen, und dort ein paar schnellwachsende Büsche, als Sichtschutz. Es gibt im Gartencenter viele schöne Blütenpflanzen, bunt, mit respektgebietenden lateinischen Namen und ein paar für Analphabeten gedachten Symbolen auf einem Plastikschildchen, das im Topf steckt. Ein, zwei Kaufräusche später ist so der erste Garten entstanden, und der kann sogar hübsch aussehen. Glücklich macht er jedenfalls, und das ist das wichtigste. Die Erde bleibt fürs erste unsichtbar und stumm. Irgendwann allerdings meldet sie sich. Und zeigt, wer sie ist und daß sie sich von ein paar Zentimetern Fremderde nicht den Mund verbieten läßt.
Mit dem Rollrasen fängt es an. Der grüne Teppich sieht im zweiten Jahr schon ganz anders aus, und je nachdem, wo unser Stück Erde ist, kommen unterschiedliche ungebetene Gäste. In manchen Städten sind das oft noch, über ein halbes Jahrhundert nach dem Krieg, Trümmerpflanzen – Disteln, Huflattich, Königskerze und Goldrute. Ich kenne Gärten, in denen man immer noch Ziegelbrocken findet, man muß gar nicht tief graben. Jeder Garten ist nur der oberste Teil eines Turms von Geschichten. Was war vorher da? Felder? Brachland? Eine Tankstelle, ein Haus, ein Friedhof? Oder Wald? Was würde manch eine Erde sagen, wenn der Gärtner sie fragen würde? Daß sie erschöpft ist, vielleicht, und daß sie mitein bißchen Stickstoff eine Zeitlang in Ruhe gelassen werden möchte.
Lehmboden bleibt Lehmboden, und wenn man hundert Säcke Torf hineinwirft. Der Gärtner sagt sich, Ökologie hin oder her, der verdammte Boden soll machen, was ich will. Der wird sich für kurze Zeit fügen, wird eine Menge Geld und Nerven in sich begraben, aber aus einem schweren Boden wird nicht wirklich ein leichter, das ist wie bei den Menschen.
Muß man dem Boden etwas abtrotzen, oder schenkt er freiwillig? Eva Strittmatters Grasnelken sind so ein Geschenk, nur auf sandigem Boden wachsen sie gut, auf diesem mageren Boden, durch den das Wasser wie durch ein Sieb läuft und verschwindet, ohne sich um den Durst der Wurzeln zu kümmern. Kiefern kommen mit wenig Wasser aus oder Wacholderbüsche. Und so schöne Blumen wie die wilden Nelken. Das kümmernde Rosa harter Grasnelken. / Ihr bläuliches Spiel unterm spärlichen Tau .
Gerade auf kargen Böden werden oft die üppigsten Gärten gestaltet. Für besonders bunte und vielfältige Beispiele haben malende Gärtner gesorgt, zum Beispiel Emil Nolde und Max Liebermann, auf ihren Magerböden in Seebüll und am Wannsee. Eine bis heute in Wirklichkeit und auf vielen Bildern bewahrte Farbenfülle. Beide Gärten kann man besuchen, wobei Emil Noldes Garten nach seinem Tod weiter gehegt und geliebt wurde, während der des Max Liebermann Enteignung und Barbarei auszuhalten hatte und erst jetzt wieder
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