Maddie - Der Widerstand geht weiter (German Edition)
Los Angeles, 24. September 2060
Ich habe über hundert Online-Profile. Sie verbinden mich mit Tausenden von Menschen, die mit Tausenden von anderen Menschen verbunden sind, die zusammen mit mir eine anonyme Masse ergeben. Mein Leben wird von Sternchen, Smileys, Einkaufswagen und gereckten Daumen bestimmt. Ich kann meine Freunde bewerten. Ich habe Zugang zum gesamten Wissen der Menschheit. Aber manchmal will ich gar nicht alles wissen. Am liebsten würde ich die Informationen aus meinem Kopf löschen, weil sie mich daran hindern, zu fantasieren, zu denken, zu überlegen. Ich brauche mein Gehirn nie anzustrengen, muss mich an nichts erinnern, nichts regeln oder planen. Das alles wird für mich erledigt. Doch dadurch bin ich nur eine Marionette, oder?
Jetzt bin ich so weit, die Fäden zu zerschneiden.
Ich habe mir selbst das Ziel gesetzt, meine Profile zu löschen, eines pro Tag. Schritt für Schritt wie bei einem Drogenentzug. Meine Mutter sagt immer, dass man sein Leben alle paar Jahre wie einen Garten jäten sollte, um Überflüssiges zu entfernen – materielle Dinge genauso wie Menschen –, weil sich sonst immer mehr ansammelt, das um Platz wetteifert, bis man sich in der Enge nicht mehr rühren kann.
Ein paar Sites behalte ich, weil sie mich inspirieren, mir Mut machen und mich mit Leuten zusammenbringen, die ich unersetzlich finde. Gemeinsame Zeit sollte bereichern, statt nur totgeschlagen zu werden. Ich will vom Leben mehr als immer nur die Oberfläche … oberflächliche Gespräche, oberflächliche Erfahrungen.
Freundschaft gibt es nicht als Light-Produkt. Davon wird man nicht satt. Nun ja, zumindest geht es mir so, denn ich war noch nie der Typ für Diätwahn. Ich will lieber schlemmen.
U-Design-It: Profil gelöscht
Auf dieser Site kann ich mir jede Umwelt erschaffen, die ich will. Ich kann mitten in einem Vulkankrater sitzen und auf glühenden Lavaströmen reiten. Ich kann Filmregisseurin oder Spitzenköchin sein. Ich kann Sterne umarmen und auf Regenbögen wandern. Ich kann Gebäude mit den Händen hochheben und an andere Orte versetzen. Auf dieser Site kann ich Gott spielen. Aber habe ich deshalb tatsächlich etwas getan? Oder ist alles nur heiße Luft, und ich schrumpele in mich zusammen wie ein aufgeblähter Ballon, sobald ich mich auslogge?
Make-Yourself-Over: Profil gelöscht
Eine personalisierte Shopping-Site, auf der die Werbung mir sagt, was ich besitzen soll, und Promis mir sagen, wie ich aussehen soll. Doch inzwischen denke ich, dass unsere Taten entscheidender sind als unser Besitz. Ob wir attraktiv sind, hängt mehr davon ab, wie wir Menschen behandeln, als von unserem Aussehen. Wenn wir nur Augen für innere Werte hätten, wie würden die Menschen uns dann wohl erscheinen? Wer wären die Supermodels?
DS-Meet-Me: Profil gelöscht
Hier kann ich Menschen treffen, aber ich kann sie nicht lächeln hören. Dabei gibt es kein schöneres Geräusch, als wenn sich Justins Atem, seine Lippen, seine Haut verändern, weil er lächelt. Die Site zeigt mir nicht, dass seine Haare wild in alle Richtungen abstehen. Selbst wenn er sie kämmt, sind sie sofort wieder verstrubbelt. Auf der Site sind seine Haare ein einheitliches Dunkelbraun, dabei weiß ich, dass sie an den Schläfen heller werden. Ich weiß, dass er am liebsten auf dem Bauch schläft und dabei die Arme bis zu den Ellenbogen unter seinem Kissen vergräbt. Ich weiß, dass er nur in den Raum zu treten braucht, damit ich mich gleichzeitig entspannt, nervös, überglücklich und erleichtert fühle. All das kann die Site nicht vermitteln.
Denn Menschen sind wie fremde Länder: Man kann sie nur kennenlernen, wenn man sich die Zeit nimmt, sie persönlich und mit allen Sinnen zu erleben. Von nun an will ich eine Reisende und Entdeckerin sein. Das Leben hat mehr als die drei Dimensionen, die wir sehen. Ich will die Tiefen erforschen, die man nur mit dem Gefühl wahrnehmen kann.
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Ich beginne zu lernen, dass die wirkliche Welt voller Fallgruben und Tretminen steckt. Ein paar davon habe ich schon in die Luft gesprengt. Man macht Fehler und in der Realität kann man Taten und Worte nicht einfach zurücknehmen. Aber ich habe auch gelernt, dass solche Fehler manchmal mehr Türen öffnen als verschließen.
Kapitel Eins
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Clare und ich waren gerade dabei, uns im WG -Apartment von Pat und Noah umzuziehen, das mitten in Hollywood lag. Clare war übers Wochenende zu Besuch gekommen, und wir wollten unser Wiedersehen feiern, indem wir uns
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