Gartengeschichten
barbarischen Dünger von einst ebenbürtig sind.
Erde schluckt und verdaut vieles, aber manchmal kann selbst sie nicht verdauen. Als ich zum erstenmal die Ebene von Verdun sah, auf dem Weg nach Paris, wußte ich nicht, wo ich war. Ich hatte das Schild nicht gesehen, aber eine so düstere, abweisende Erde war mir noch nie zuvor begegnet. Obwohl das Schlachten schon so viele Jahrzehnte zurücklag, schiensich die Erde bis heute nicht erholt zu haben von dem, was sie hatte schlucken müssen. Man könnte denken, daß auf Todesfeldern eine besonders üppige Vegetation gedeihen würde. Das war hier nicht so. Krüppliges, unwilliges Gewächs habe ich gesehen, von einem grauen Himmel niedergedrückt. Auf richtigen Friedhöfen dagegen ist die überfütterte Erde nicht unfreundlich und gibt den kleinen Vierecken, in die man sie zerteilt hat, an Fülle, was sie kann. Auf einem Friedhof meiner Kindheit gab es besonders schöne Apfelbäume, und es galt als Kühnheitsbeweis, die Äpfel zu essen. Wir nannten sie Leichenäpfel.
Vielleicht mag man der Erde wegen ihrer Verbindung zum Tod nicht so gern ins Gesicht schauen. Auch das Getier, auf das der Gärtner beim Graben stößt, löst keine Begeisterung aus, trotz mancher Nützlichkeit. Regenwürmer, Asseln, Tausendfüßler, Ameisen, Schlupfwespen, Engerlinge – sie mögen das Licht nicht, suchen so schnell wie möglich wieder im Dunkel zu verschwinden, sie machen abstoßende huschende oder kriechende Bewegungen, und man braucht eine gewisse Energie, um sich ihnen ohne Gänsehaut zu nähern. Sie haben mit Fressen und Verdauen zu tun, sie können auch Großes langsam und geduldig im Dunklen zum Verschwinden bringen. Diese Gedanken will man schnell los sein, also Erde drüber und sich freuen an den Dingen, die aus ihr wachsen.
Erde zu lieben ist noch immer eine ganz verdächtige und kontaminierte Angelegenheit, Liebe zur Scholle das Reaktionärste, was es gibt. Der kultivierte Gärtner redet also nicht von seinem Boden, sondern von dessen Möglichkeiten, verändert zu werden. Der Boden ist potentiell unwillig und feindselig und muß sich manipulieren lassen. Deshalb sehen wir Mais- oder Weizenfelder bis zum Horizont, keine Heckenstreifenmehr, keine Knicks, in denen Vögel wohnen. Die nostalgische Klage über die verödende Kulturlandschaft ist alt und abgenutzt, wobei meines Wissens Saatgut, Feldblumen, Hecken und Vögeln viele ihre Stimme geliehen haben, der Erde aber eigentlich niemand. Sie ist einfach da und muß sich bearbeiten lassen, sie muß aufnehmen und wieder hergeben und für Verwesung ebenso sorgen wie für Neubeginn. Manchmal, wenn sie irgendwo völlig verschwunden ist, jammert man ihr hinterher und pflanzt ein bißchen Bergwald, damit sie sich festhalten kann. Aber auf den hundertsten Skilift wird nicht verzichtet.
Das große Ganze kann der Gärtner nicht ändern. Seine Erde kann er aber fragen, was sie will, und ihr zuhören, ganz für sich, und vielleicht geht es ihm dann wie der Dichterin Eva Strittmatter:
Ich dachte immer, ich könnte mich trennen,
Wenn ich nur wollte. Das ginge leicht.
Doch jetzt: was mich aus der Ferne erreicht,
Das werde ich niemals gut genug kennen –
Krieg und Frieden 96
»zwischen fast nichts und nichts / wehrt sich und blüht weiß die Kirsche.«
Hans Magnus Enzensberger
Die grüne, wilde Neretva entlang reihten sich die Bauerngärten und machten sich ans Keimen und Blühen wie in jedem Frühjahr. Man hätte denken können, alles sei normal und der Bosnienkrieg wirklich vorbei. Eine wunderschöne Landschaft, vielfarbig gestreifte Berge, wenig Menschen. Manchmal wurden wir von Militärposten aufgehalten. Aber sie ließen uns nach etwas Hin und Her immer weiterfahren. Wir, das waren eine Handvoll Schriftsteller, die im Frühling 1996 nach Sarajevo eingeladen worden waren, um irgendwie friedensfördernd zu wirken und vielleicht auch um zu berichten, wie es dort jetzt aussah.
Überall blühten die Kirschbäume, schöne, riesige, alte Bäume. Die blühenden Bäume, die zerschossenen Häuser, die Soldaten und die Dichter, das paßte alles überhaupt nicht zusammen. Wir waren, glaube ich, verlegen. Zu Hause hatte man souverän über Gut und Böse geurteilt, aber angesichts verlassener Gärten und in Trümmern liegender Häuser verschwammen einem die Gewißheiten und lösten sich auf. Die Schriftstellermänner versuchten so zu tun, als seien sie Korrespondenten, lässig und kompetent, wie man sie in den letzten Jahren fast jeden Abend im
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