Gartengeschichten
Gärten einschleust, auf daß die in Kürze genauso kolonisiert werden.
Sogar im Kräutereck wohnen Terroristen. Sauerampfer zum Beispiel oder Liebstöckel. Auch die wohlriechende und gesunde Zitronenmelisse hat die Neigung, sich ganzer Gärten zu bemächtigen. Nachdem man sich wie im Blutrausch reißend und rupfend gegen sie gewehrt hat, riecht man noch lange ganz wunderbar, was einem wiederum ein schlechtes Gewissen verursacht. Sie nimmt es einem aber nicht übel und taucht im nächsten Jahr an den gleichen und noch einemDutzend neuen Stellen wieder auf. Auch die Pimpinelle, die ihren Auftritt hauptsächlich in der Grünen Soße hat, neigt zu Platzwechsel und Riesenwuchs. Sie blüht ganz hübsch, man kann sie also anstelle von Gänseblümchen über die Hors d’œuvres streuen.
Das waren ein paar von den Wichtigtuern in der Kräuterabteilung, vor denen gewarnt werden muß. Es sei denn, man liebt Übertreiber, das gibt’s ja.
Die Scheuen dagegen scheinen sich vor dem erntenden Messer oder der Schere förmlich zu verkriechen. Basilikum friert leicht, Schnittlauch kriegt mit der Zeit dünne Halme, Salbei holzige Stengel. Petersilie kann sich nicht entscheiden, ob sie viel oder wenig Wasser will, Kerbel neigt zur Gelbsucht. Borretsch mit diesen unwahrscheinlich blauen Blüten und den kratzigen Blättern ist bei einigen Gärtnern ungestüm wüchsig, bei mir ziert er sich. Und lädt haufenweise Läuse in allen Farben ein, bei ihm zu speisen. Dill? Den sollte man ins Rosenbeet pflanzen, das macht sich wunderbar, viel feiner und verrückter als Schleierkraut. Rosen mit Schleierkraut dazwischen sehen leicht aus wie Muttertagsfleurop. In meinem Rosenbeet hat er nicht wachsen wollen, dafür der Giersch, den kann man auch essen. Das ist aber auch schon das einzig Positive, was man über Giersch sagen kann.
Welche Kräuter fehlen noch? Kresse, die kann man auf Löschpapier oder Kosmetikwatte ziehen. Die als Vorspeisendekoration schon erwähnte Kapuzinerkresse, eine der allerhübschesten Schlampen unter den Blumen, ist anders. Vielleicht hat sie mal gehört, daß ich sie so nenne. Jedenfalls wächst sie – andernorts das bare, prachtvolle Unkraut – bei mir nicht, nirgendwo. Nicht am trockenen Beetrand, nicht im Topf, weder Sonne noch Schatten vermögen sie hervorzulocken. Manchmal taucht eine meterlange, traurige Rankemit einer einzigen fahlen Blüte auf. Die macht sie, um mir zu zeigen: Ich habe gekeimt. Ich habe aber keine Lust, bei Ihnen zu wachsen.
Von der Kräuterkolonie aus geht es in wenigen Schritten in ein Antike simulierendes Eck mit Steintisch und Steinbänken. Beides hatte ich vor wenigen Jahren in einem Katalog als Sonderangebot entdeckt, mir ein Herz gefaßt, gekauft, aufstellen lassen (was für eine Prozedur sich hinter diesen wenigen Worten verbirgt, tut hier nichts zur Sache) – und dann Wind, Wetter und der Energie des Alterns vertraut. Damit hat man ja Erfahrung und wird auch von Steinernem nicht enttäuscht. Moos hat sich angesiedelt, vielfarbige Flechten, geheimnisvolle Kalkstrukturen und Narben sind dazugekommen, die kleinen Löwen am Tischfuß schauen wie hundertjährige drein – kurz: In meinem bescheidenen Stadtgarten ist in wenigen Jahren ein Stück altes Rom entstanden, nicht echter als in einer Pizzeria, aber viel glaubwürdiger. Nun war kein Halten mehr, und anstatt wie sonst an den Replikenlagern am Straßenrand voll Abscheu vorbeizufahren – Der Dornauszieher in allen Größen! Mehr Säulen als auf der Akropolis, wetterfestes Material! – bin ich hineingegangen.
Früher habe ich alles Kopierte, jede Art von Nachgemachtem verachtet. Echt alt oder gar nicht. Plötzlich, nach dem Versuch mit Tisch und Bänken, traute ich meinem Garten zu, alles in ein Original verwandeln zu können. Es genügt ein hübscher Platz, etwas Moos, eine Kletterrose. Und dann muß nur ein wenig Zeit vergehen. Der Garten nutzt seine Jahreszeiten, und irgendwann hat er uns ganz unmerklich ein Original geschenkt. Kitsch? Ein Löwenbrünnchen macht noch keine Villa d’Este, das wissen wir. Die wollen wir ja auch nicht. Nur einen Hauch davon, eine Erinnerung – ein Stückchen Anmaßung und ein handtuchgroßes Fürstentum.
Mein Steintisch steht auf einem gepflasterten Platz, wenigstens die Pflasterziegel sind alt. Aus ihren Ritzen (ausgerechnet da – wenn ich sie an eine in meinen Augen geeignete Stelle gepflanzt hätte, wäre ich von ihr ausgelacht worden) wächst eine pfirsichblättrige Glockenblume. In den
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