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Gebieter der Dunkelheit

Gebieter der Dunkelheit

Titel: Gebieter der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Henke
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sie dem Jungen, der sich an ihr Bein drückte, über die Haare. »Das ist Sandro, mein Sohn. Er hat Ferien. Señor Brookstone hat mir erlaubt, ihn mitzubringen.«
    Naomi schätzte ihn auf fünf oder sechs und wusste nicht, ob er noch in den Day Care Center ging oder schon die erste Klasse der Grundschule besuchte. Als sie sich zu ihm herabneigte und ihm die Hand entgegenstreckte, versteckte er sich hinter Rosamar und linste nur ab und zu schüchtern um die Ecke. Seine Augen waren so blau wie das Meer. Wie ungewöhnlich für einen Mexikaner!
    »Schön, dich kennenzulernen, Sandro.« Naomi zwinkerte ihm zu und richtete sich wieder auf. »Und schön, wieder auf Maroon zu sein. Wo sind alle?«
    Rosamar nahm die Schüssel wieder in beide Hände und legte eine Paprika, die drohte, herunterzufallen, in die Mitte. »Ihre Cousine Jillian und Señor Jefferson sind mit einem Gast in der Schankstube. Señora Brookstone ist vor zwei Stunden nach St. Helena gefahren, und Señor Brookstone prüft mit seinem Vorarbeiter die Reben am Osthang. Wo Ihr Cousin Chad ist, weiß ich leider nicht.«
    Alle waren beschäftigt, das war zu erwarten gewesen. »Dann fahre ich am besten gleich zum Gästehaus und mache mich dort erst einmal breit.«
    »Das geht nicht«, wandte Rosamar ein.
    »Es macht nichts, wenn Lizzy es noch nicht fertig hat.« So kurzfristig, wie sich Naomi angemeldet hatte, konnte sie nicht damit rechnen, dass das Hausmädchen bereits alles für ihren Besuch vorbereitet hatte. »Ich lüfte und beziehe das Bett selbst. Ein bisschen Staub wird mir schon nicht schaden.«
    »Nein, nein, so meinte ich das nicht.« Rosamar gestikulierte etwas zu heftig, so dass die Paprika auf den Boden fiel. Sandro tapste etwas unbeholfen hinterher und bekam sie erst zu fassen, als sie liegen blieb.
    Sicherlich war das Haus noch abgeschlossen. »Ich nehme den Schlüssel gleich mit.«
    »Er ist schon dort, aber …« Sandro unterbrach seine Mutter, indem er ihr die Paprika überreichte und sie erwartungsvoll anschaute. Rosamar legte sie wieder auf das restliche Gemüse, dankte ihrem Sohn rasch und öffnete ihren Mund, um ihren Satz zu beenden, doch Naomi kam ihr zuvor.
    »Mich muss niemand begleiten. Macht euch alle keine Mühe. Ich kenne mich doch aus, außerdem ist Sonntag. Hier sollte eigentlich gar nicht gearbeitet werden, aber Maroon ruht nie. Adios , Rosa, bis später.« Naomi verließ das Gebäude.
    »Señorita Naomi«, rief die Köchin ihr hinterher.
    Als sich Naomi an der Fahrertür ihres Wagens noch einmal zu ihr umdrehte, zog Sandro gerade an Rosamars Schürze, weil er wollte, dass sie sich mit ihm und nicht mit dem neuen Gast beschäftigte.
    »Nur keine Umstände«, beruhigte Naomi sie, stieg ein und fuhr los.
    Im Rückspiegel sah sie, dass Rosamar ihr ein Stück hinterhergelaufen kam. Doch Sandro, der ihr folgte, stolperte über die Türschwelle und stürzte, worauf Rosa zu ihm eilte, die Schüssel auf dem Boden abstellte und ihm aufhalf.
    Das Gästehaus lag etwas weiter den Hügel hinauf in einem kleinen Garten. Dort übernachteten ausschließlich Freunde oder Geschäftspartner, niemals Touristen, eher stand es leer. Es wurde selten genutzt. Das hübsche kleine Häuschen aus Natursteinen mit orange-braunen Tondachziegeln, einer überdachten Veranda und einem Garten, den Holunderbüsche und Wildrosen von den Reben abgrenzten, hätte auch in der Toskana stehen können.
    Naomi stellte ihren Wagen ab und betrat das Haus. Sie blieb an der Tür stehen und schaute sich strahlend in der Küche um. Ein Korridor führte von dort an einer Holztreppe vorbei, über die man ins Obergeschoss gelangte, wo sich das Schlafzimmer, das Bad und ein kleines Arbeitszimmer befanden, ins Wohnzimmer.
    Vor Naomi lag ein kleines Stückchen Heimat. Die Einrichtung mit den großen terrakottafarbenen Bodenfliesen, den Landhausmöbeln und den Kerzenhaltern aus Eisen an den Wänden verströmte ein mediterranes Ambiente. Das Haus hatte altmodische Klappläden, die Naomi mit sechzehn Jahren selbst olivenfarben gestrichen hatte. Die Farbe blätterte längst ab.
    Plötzlich fiel ihr Blick auf einen Laptop, der auf dem Küchentisch links neben der Eingangstür stand. Notizblätter, Sachbücher und Fotobände über Weinanbau lagen wild verstreut daneben.
    Stirnrunzelnd betrachtete Naomi die leere Kaffeetasse in der Spüle, die ihr erst jetzt auffiel. Ihr Domizil war schon bewohnt? Oder hatte sich jemand aus der Familie hierher zurückgezogen, um in Ruhe arbeiten zu können?

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