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Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich

Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich

Titel: Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Sinn des Ganzen erkennen, vom Speziellen auf das Allgemeine schließen und uns auf diese Weise, mittels der Erkenntnis, versöhnen lassen mit dem Leben.
    Man schrieb das Jahr 1658, als Leopold I., seines Zeichens neuer Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, zudem König von Ungarn und von Böhmen, und von Kroatien und Slawonien auch noch, seinen Einzug in Wien hielt. Dieser Musikliebhaber und typische Habsburger mit dem gegenreformatorischen Bedürfnis, die Welt mit aller Macht zu katholisieren, ist heute vor allem bekannt für seinen Kampf gegen das Osmanische Reich, wobei man sich im Stile des österreichischen Staatsbürgers Bert Brecht (und zwar seit 1950) fragen möchte, ob der Kaiser tatsächlich allein gegen das Osmanische Reich kämpfte.
    Für die Wiener freilich zählte an diesem Tag allein das Ereignis. Man wollte den Kaiser glorios empfangen und putzte die Stadt heraus. Unter anderem beauftragte man einen jungen Mann, einen »Gartner ledigen Standes«, hinauf auf die Spitze des Stephansturms zu steigen, die sogenannte Turmrose zu erklimmen und dort ein Riesentrumm von Flagge zu schwingen, und zwar dann, wenn der Kaiser kam, um im Dom dem Tedeum beizuwohnen. Der junge Mann hieß Salzberger, mit Vornamen Gabriel, was ja nun wirklich als ein idealer Name für diesen Job erscheinen mußte — in der Bedeutung »Mann Gottes«. Für die überaus gefährliche Arbeit sollte er mit zehn Reichstalern entlohnt werden. Er kletterte also nach oben, nahm in 135 Metern Höhe seine Position ein und wartete mit eingerollter Flagge auf die »Einbeglaidung der Röm. K. Mayestet Leopoldus«, welcher durch das bombastisch geschmückte Wien zog und erst recht spät den Dom erreichte, woraufhin der Gärtnerbursche endlich die Flagge in den Himmel recken und sein akrobatisches Werk vollbringen konnte. Wahrlich ein Engel, wie er da hoch oben balancierte und ein Zeichen weltmächtiger Heiligkeit in die Luft setzte.
    Aber so, wie zu Österreich das Heilige gehört, gehört auch die Schlamperei dazu, auf welche die Österreicher seit jeher sehr stolz sind (wahrscheinlich, weil diese Schlampigkeit als eine originäre Kulturleistung angesehen wird, welche die Österreicher von der banalen und unkünstlerischen Ordnungsliebe anderer Völker abhebt). Jedenfalls hatte man die Leiter, auf der Gabriel Salzberger nach oben gestiegen war, eingezogen. Und eigentlich hätte man sie nun, nachdem der Kaiser sich im Dom befand, wieder in Position bringen müssen, um Salzberger zurückzuholen. Aber man vergaß darauf, ja man verschwitzte völlig, einen Mann auf die Turmspitze gesetzt zu haben.
    Das Vergessen ist die Krönung der Schlampigkeit. Und die Vergeßlichkeit der Österreicher ist bis heute Teil ihrer Meisterschaft. Sie vergessen eben nicht nur die Dinge, die nicht mehr zu ändern sind – was ja jeder kann —, sondern mit Vorliebe jene Dinge, die zu ändern sich geradezu aufdrängt.
    Salzberger fand sich somit als Opfer dieser Vergessenskunst wieder, umweht von den hohen herbstlichen Winden eines ersten Oktobers, unter sich den steingewordenen katholischen Glauben, über sich das nächtliche Firmament. Schwer zu sagen, wie sehr er sich nicht nur von seinen Auftraggebern, sondern auch von Gott verlassen fühlte und wie groß sein Zorn auf die unter ihm im Festrausch dahinschwankenden Wiener gewesen sein mochte. Oder aber, ob er sich demütig dieser Prüfung stellte, weil er vielleicht begriff, wie wenig es genügte, für den Kaiser eine Fahne zu schwingen, sondern es ebenso dazugehörte, zur Ehre seiner Majestät eine Nacht lang eine lebende Turmfigur zu verkörpern.
    Es ist nun müßig, sich darüber zu streiten, welche Quellen stimmen, ob man also bereits um Mitternacht oder erst am nächsten Morgen sich des armen Mannes entsann. Jedenfalls mußte nach der späten Rettung Salzbergers festgestellt werden, daß dieser seine »Aussetzung« nicht unbeschadet überstanden hatte: Sein Haar war ergraut (vielleicht auch erbleicht) und seine Haut runzelig geworden. Die Stadt Wien zeigte sich auf Grund dieser sichtbaren Einbußen als großmütig und erhöhte die vereinbarte Bezahlung von zehn auf zwölf Taler.
    Zwei Taler also, zwei Taler für einen Engel, zwei Taler, das ist praktisch das Resultat dieser Geschichte, die eigentliche Erkenntnis, der meßbare Wert einer in Todesangst zugebrachten Nacht. Zwei Taler sind das Faktum, gleichzeitig aber auch der virtuelle Raum zwischen Wirklichkeit und Wahnsinn. Diese zwei Taler sind wie die Konklusion

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