Gedenke deiner Taten
Diskussionen, die sie wegen der Brandnacht immer wieder führten, kam auch die Vergangenheit zur Sprache. Die Affären von Kates Vater (die die Tochter, wie er betonte, verdammt nochmal nichts angingen), das Dreiecksverhältnis von Lana, Jack und Richard. Ob Birdie jemals der Verdacht gekommen war, Richard könnte ihr Vater und somit Kates Großvater sein? Die Tagebücher waren verbrannt, und Kate hatte ihr Wissen für sich behalten. Wozu wäre es jetzt noch gut? Sie wusste nicht, wie sie ihre Mutter auf das Thema ansprechen sollte. Wie so vieles blieb auch das zwischen ihnen unausgesprochen.
Nach der Urteilsverkündung fragte Kate sich, wie frei eine Frau wie Emily in ihren Entscheidungen überhaupt war. Woher sollte man wissen, was das Richtige war, wenn niemand es einem vorgelebt hatte? Wie soll man wissen, was eine gute Beziehung ist, wenn man nur schlechte Beziehungen kennt? Und wie soll jemand, der sich ungeliebt fühlt, in der Lage sein, die vermeintliche »Liebe« eines Dean Freeman auszuschlagen? Vielleicht hätte Kate sich niemals auf Sebastian eingelassen, wenn ihre Kindheit friedlicher verlaufen wäre und sie weniger Kontrolle und mehr Zuwendung erfahren hätte. Nur ihre Liebe zu Chelsea und ihr Wunsch, das Kind zu schützen, hatten zur Trennung geführt, hatten sie dazu gebracht, das Gute in Sean zu sehen. Sie traf die richtige Wahl, weil sie auf ihre Liebe hörte, nicht auf ihre Angst, ihre Verzweiflung, ihre Einsamkeit. Wenn sie an Emily Burkes totes Baby dachte, wurde Kate elend zumute.
Langsam war es an der Zeit, damit abzuschließen. Kate hatte sich den Kopf schon zu lange über Heart Island zerbrochen. Sie absolvierte noch die letzte Signierstunde und kehrte dann in ihr altes Leben zurück. Ihre Kinder brauchten sie. Auch nach einem Jahr litt Chelsea immer noch unter Albträumen. Nach ihrer Rückkehr an die Ostküste bezogen sie das Haus, in das Sean sich verliebt hatte. Sie waren jetzt Doppelverdiener und konnten es sich leisten, ohne das Geld aus Kates Fonds. Es war Zeit für einen Neuanfang.
VIERZIG
W enn es morgens milchig grau war, kurz nach dem Aufwachen, vergaß Emily fast, was aus ihr geworden war. Für wenige Sekunden schien ein neuer Morgen voll unbeschränkter Möglichkeiten zu dämmern. Jeder Tag fing mit dieser Hoffnung an. Aber dann senkte sich das erdrückende Gewicht der Realität auf sie herab und schnürte ihr die Luft ab. Sie hatte Dean, ihr Baby und in gewisser Hinsicht auch sich selbst verloren, und das war kaum zu ertragen. Kummer und Reue belasteten sie. Sie kämpfte sich durch den Tag und fragte sich, ob sich ihr Leben jemals wieder änderte.
In ihrem Kinderzimmer lag immer noch die rosa Katze mit dem zerzausten Schwanz auf dem Bett, hing immer noch das angerissene Poster der Backstreet Boys, und auf dem weißen Schreibtischstuhl klebten Sticker. Emily dachte an ihr Häuschen, das sie allein und später mit Dean bewohnt hatte. Ihre Mutter hatte ihr geholfen, die Möbel zu verkaufen. So bekamen sie wenigstens einen kleinen Teil der Prozesskosten wieder herein.
Die Strafe war milde ausgefallen. Die Verteidigung hatte argumentiert, dass Emily unter Zwang gehandelt habe. Die Videoaufnahmen aus dem Blue Hen, die zeigten, wie sie strampelte und schrie, und die Zeugenaussage von Jones Cooper, der ihre Verletzungen gesehen hatte, bestätigten diese Vermutung. Aber die Wahrheit war komplizierter, was auch die Jury schnell begriffen hatte. Emily hatte zahlreiche Gelegenheiten gehabt, ihre Entscheidungen zu überdenken und einen anderen Weg einzuschlagen. Nun musste sie ein Jahr in einem Frauengefängnis absitzen, etwa eine Stunde von ihrem Wohnort entfernt. Ihre Anwältin hatte sich optimistisch gezeigt.
»Sie sollten die Zeit für sich nutzen, Emily. Es hätte schlimmer kommen können. Ich sage ja nicht, dass es leicht wird, aber Sie könnten es als Neuanfang betrachten.«
Ja, es hätte tatsächlich schlimmer kommen können, wenn Carol nicht gewesen wäre, die das Gericht um Nachsicht gebeten hatte. Sie hatte sich fast vollständig von ihren Verletzungen erholt. Sie humpelte immer noch und sprach ein bisschen undeutlich. Obwohl sie auf Emilys Briefe, in denen Emily sie um Vergebung anflehte, nicht reagiert hatte, war Carol zur Verhandlung erschienen.
»Sie wusste nicht, worauf sie sich einließ. Bis zu jenem Abend hatte sie keine Ahnung, was die Männer planten und was die Konsequenzen waren«, sagte Carol aus. »Ich glaube, sie haben sie zum Mitmachen gezwungen.
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