Gedrillt
für Zuverlässigkeit.
»Was ist?«
»Ich …«
»Keine Sorge«, sagte ich. »Spenglers Hirn ist schon vor Jahren in Alkohol aufgeweicht.« Ein verwirrtes Lächeln huschte über Spenglers weißes Gesicht, als er meine Worte hörte und verstand.
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Der Besucher, noch immer zweifelnd, sah sich noch einmal um, ehe er bedächtig seine Worte wählte. »Morgen früh kommt jemand rüber. Frank Harrington lädt Sie ein, dabeizusein. Er garantiert Ihnen Ihre persönliche Freiheit.«
»Morgen ist Sonntag«, erinnerte ich ihn.
»Ganz recht, Sonntag.«
»Besten Dank«, sagte ich. »Wo?«
»Ich hole Sie ab«, sagte der Mann. »Um neun?«
»Schön«, sagte ich.
Ohne zu lächeln, nickte er mir zum Abschied zu und machte sich an mir vorbei langsam auf den Weg, wobei er die Schöße seines Mantels zusammenraffte, um nicht irgend etwas Ansteckendes damit zu berühren. Es war nicht leicht. Ich nehme an, er hatte erwartet, daß ich ein Freudengeheul anstimmen würde. Jeder von der Operations-Einheit – sogar ein Bote – mußte inzwischen Wind von meinen gegenwärtigen Sorgen haben: in Ungnade gefallener ehemaliger Agent, der mit Haftbefehl gesucht wird. Zur offiziellen Vernehmung eines neu aus dem Osten angekommenen Überläufers eingeladen zu sein, änderte diesen Status entschieden.
»Gehst du hin?« fragte Werner, als die Haustür zugefallen war. Er spähte über die Balkonbrüstung, um sich zu überzeugen, daß der Besucher wirklich wegging.
»Ja, ich gehe.«
»Das könnte eine Falle sein«, warnte er mich.
»Sie wissen, wo ich zu finden bin, Werner«, sagte ich, wobei ich meinen Ärger an ihm ausließ. Ich wußte, daß Frank mir seinen Handlanger geschickt hatte, um mir vorzuführen, wie leicht es war, mich zu finden, wenn ihm danach war.
»Trink was«, sagte Spengler, der sich noch immer am Fußboden rekelte. Er schob die verbogene Brille an der Nase hoch und drückte Knöpfe an dem Gerät, das er in der Hand hielt, so daß kleine Lämpchen aufleuchteten. Er hatte also endlich neue Batterien für seinen Schachcomputer aufgetrieben
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und nahm trotz seiner alkoholischen Umnebelung den Kampf mit dem Ding auf. Manchmal fragte ich mich, was für ein Genie er sein mochte, wenn er jemals nüchtern würde. »Nein, danke«, sagte ich. »Ich muß ein bißchen schlafen.«
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2
Mich kann man mit verbundenen Augen in ein abhörsicheres Gebäude führen, und ich werde wissen, wo ich bin. Werner sagte einmal, sie röchen nach Elektrizität, er dachte dabei an den Geruch des Staubs, den die statische Elektrizität in den Fensterläden, Vorhängen und Teppichen solcher trostlosen unbewohnten Räume festhält. Mein Vater sagte,
kennzeichnend für sie sei nicht irgendein Geruch, sondern die Abwesenheit von Gerüchen. Sie riechen nicht nach Essen oder nach Kindern, nach frischen Blumen oder nach Liebe. Sichere Häuser, sagte mein Vater, röchen nach nichts. Aber Reflexe, die auf solche Umweltreize eingespielt sind, verraten einem in dieser Atmosphäre das diskrete Parfüm der Angst, einen Duft, den alle, die für diesen auf die Eingeweide wirkenden Schrecken empfänglich sind, sofort erkennen. Irgendwo hinter dem schwachen und schwebenden, aus abgestandenem Urin, Erbrochenem und Kot gemischten Bouquet ist da eine beißende und täuschend moschusartige Süße. Ich roch die Angst jetzt in diesem schönen alten Haus in Charlottenburg.
Vielleicht roch auch dieser junge Bursche Teacher irgendwas davon, denn sein Geplauder blieb stecken, als wir das elegant verspiegelte Treppenhaus betraten und an dem stummen Pförtner vorübergingen, der aus dem hölzernen Verschlag getreten war, von dem aus jeder Besucher inspiziert wurde. Der Pförtner war ein rundlicher älterer Mann mit grauen Haaren, einem großen Schnurrbart und schwerfälligen Zügen. Er trug einen schwarzen Sonntagsanzug mit Weste aus schwerer Serge, die an den Ärmeln schon ziemlich fadenscheinig war. Irgendwie wirkte seine Erscheinung anachronistisch. Er gehörte zu jener Sorte bessergestellter Berliner, die man auf verblaßten sepiafarbenen Fotos dem Kaiser zujubeln sieht. Jetzt folgte ihm ein ausgewachsener deutscher Schäferhund aus der Loge. Er knurrte uns an.
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Teacher ignorierte Hund und Herrn und stieg die mit einem Läufer belegten Stufen hinauf. Seine Schritte machten kein Geräusch. Er redete über die Schulter. »Sind Sie verheiratet?«
fragte er, als ginge ihm die Frage schon seit einer ganzen Weile durch den Kopf.
»Getrennt«,
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