Gefaehrliche Freiheit - das Ende der Sicherungsverwahrung
siebziger Jahre hatten wir noch 16 bis 18 solcher Taten im Jahr, in den letzten fünf Jahren waren es jeweils nur noch vier. Brutale ‚Sextäter‘ sind meist nicht so geboren, sondern gemacht worden. Sie haben in aller Regel eine ‚Horrorgeschichte von innerfamiliärer Gewalt mit schlimmsten Opfererfahrungen‘ hinter sich.“
Umgekehrt dazu stehe die öffentliche Wahrnehmung in krassem Gegensatz zu diesen Befunden. Bei repräsentativen Befragungen behaupteten die Teilnehmer, die Zahl der Sexualmorde sei von früher jährlich 32 auf 209 gestiegen. Diese Diskrepanz erklärt Professor Pfeifer mit der intensivierten Berichterstattung über solche Fälle, die zur Unterhaltungsware werden. 11
Wenn wissenschaftliche Erkenntnisse solch klare Aussagen zu Fragen der Häufigkeit und Prävention zulassen, bleibt die Frage, weshalb die Politik derart hysterisch agiert. Der Kriminologe Michael Alex stellt zusammenfassend fest, dass „es –abgesehen von im Vergleich zu Deutschland ähnlichen Entwicklungen in der Schweiz und in Frankreich – in keinem europäischen Land seit den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts vermehrte Anstrengungen gegeben hat, die Hürden für ein dauerhaftes ‚Wegsperren‘ vermeintlich hoch gefährlicher, nicht behandelbarer Rückfalltäter zu senken. Vielmehr scheint es sich bei den Gesetzesänderungen seit 1996 um einen spezifisch deutschen Weg zur Behandlung einer nicht ganz neuen Problematik zu handeln, der ausschließlich auf eine Veränderung des gesellschaftlichen Klimas zurückzuführen ist und nichts mit einer Bedrohung durch Gewalt- oder Sexualdelinquenz zu tun hat.“ 12 Konsequent und drastisch bezeichnet er die nachträgliche Sicherungsverwahrung als „rechtsstaatliches und kriminalpolitisches Debakel“.
Sozialpolitik oder Wegsperren der Armen?
Der französische, in den USA lehrende und forschende Kriminologe Loïc Wacquant beschreibt eine solche Art der Kriminalpolitik in seiner Studie „Bestrafen der Armen“. Hier legt er dar, wie insbesondere der amerikanische Staat eine neoliberale Gesellschaft schafft, indem er materielle Ressourcen aus der sozialen Unterstützung Armer abzieht und sie in Strafprogramme umverteilt. Wohlfahrtsstaat und Strafverfolgungspolitik gleichen kommunizierenden Röhren: Was die eine Seite zugeteilt bekommt, wird der anderen weggenommen. Der streng auf Eigenverantwortung zielende neoliberale Staat diszipliniert so die „im Netz des Wohlfahrtsstaates hängenden Armen“. Als Instrument dieser Disziplinierung dient das Strafrecht, dessen Ausweitung Wacquant für die USA in eindrücklichen Untersuchungen nachweist und auch bereits ein Übergreifen einer solchen Politik auf Europa aufzeigt.
Zwei Hauptzielgruppen erkennt Wacquant in den USA: die afroamerikanischen Ärmsten in den städtischen Ghettos und Sexualstraftäter. Bei der schwarzen Bevölkerungsgruppe siehter die Tendenz, dass das ausgeweitete und kontrollierende Gefängnissystem die „aufgeweichte Kastenspaltung zwischen Weißen und Schwarzen neu zementiert“. 13 Die Gruppe der Sexualstraftäter hingegen scheint besonders geeignet für die öffentliche Darstellung, Beschämung und Anprangerung, wahrscheinlich weil ihre Taten tiefen, moralischen Vorstellungen widersprechen, die in der amerikanischen Kultur verinnerlicht sind. So kommt es zu Gleichsetzungen von „Sexualstraftäter = Serien-Pädophiler“ – eine Stigmatisierung, die einen rationalen Umgang mit dieser kleinen und vielschichtigen Tätergruppe kaum noch zulässt. Letztlich werden damit auch Therapiemaßnahmen und Unterstützungen jedweder Art verhindert.
Der deutsche Kriminologe Fritz Sack, langjähriger Leiter des Instituts für Kriminologische Sozialforschung in Hamburg, schreibt unter dem Titel „Strafe und herrsche“ unter anderem, dass viele Kriminologen, die es besser wissen sollten, ihre Augen davor verschlössen, dass auch die deutsche Kriminalpolitik in den exzessiven Sog der strafenden Auf- und Ausrüstung der Politik geraten sei. Dieses Strafverlangen, das derzeit (noch) vornehmlich auf Sexual- und Gewaltstraftäter gerichtet sei, entspringe einem Klima verbreiteter Verunsicherung, das einerseits seine eigentlichen Wurzeln jenseits des Strafrechts und der Kriminalität habe, andererseits einem politischen und staatlichen Regime Möglichkeiten der Selbstdarstellung liefere, die ein U S-Kriminologe auf die Pointe gebracht habe: „Regieren mittels Kriminalität“. 14
Wozu brauchen wir Dämonen?
„Dämon“ ist
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