Gefaehrliche Spur
wi e der zur Arbeit käme.
„ Kannst noch ein paar Tage ausspannen, Rya“, hatte er gesagt. „Ich rufe dich an, sobald ich was für dich habe.“
Fast schon ein Rauswurf, denn selbst wenn ein Your-Eyes-Ermittler keinen aktuellen Auftrag bearbeitete, gab es immer etwas zu tun. Auch nach einem halben Jahr Pause.
Okay, sie konnte Jason verstehen. Nach allem, was passiert war, plus Ryas Zusammenbruch, war es ein Wunder, dass sie ihren Job überhaupt zurückb e kam. Ihr war bewusst, dass sie diesen Umstand nur der Tatsache verdankte, dass Jason ein Mann war, der ein gegebenes Wort wie einen schriftlichen Vertrag betrachtete und es unter allen Umständen einhielt. Deshalb war ihr auch bewusst, dass sie nur diese eine Chance bekam. Wenn sie die vergeigte, wäre sie raus. Für immer. Denn eine Privatermittlerin, die rausgeworfen wo r den war, weil sie ihren Biss verloren hatte, konnte sich gleich im nächsten Diner als Küchenhilfe bewerben. Und um sich mit einer eigenen Detektei selbstständig zu machen, fehlten ihr die finanziellen Ressourcen.
Sie fand die Tür der Detektei unverschlossen. Klar, auch zu dieser frühen Stunde waren Ermittler im Einsatz. Your Eyes arbeitete rund um die Uhr. Rya hoffte, dass Jason noch nicht da war. Er hatte gesagt, dass er ihr den Fall auf ihren Schreibtisch legen würde. Das deutete an, dass er heute außer Haus war.
Sie trat ein und blieb abrupt stehen. Die Räume hatten sich verändert und glichen in nichts mehr dem vertrauten Anblick. Offenbar hatte Jason ren o viert. Statt der warmen ockerfarbenen Wände mit den farblich darauf abg e stimmten Schreibtischen und Sitzmöbeln ließen blütenweiße Wände sie frö s teln und erweckten die überwiegend hellgrauen Möbel im nüchternen Offic e design sowie der hellgraue Fußbodenbelag den Eindruck von Sterilität. Steril wie …
Ein widerliches Gefühl von Angst kroch in ihr hoch. Rya fühlte ihren Mund trocken werden. Hastig wandte sie sich zur Seite und ging zu ihrem Büro. Doch dort, wo es früher gewesen war, befand es sich nicht mehr. Alles war umgestaltet worden. Die Wabenstruktur, die die durch Stellwände g e trennten Bereiche gehabt hatten, war einer Rechteckstruktur gewichen, die sich entlang der Wände verteilte. Die Stellwände waren durch gemauerte Wände ersetzt worden. Hellgraue senkrecht aufgemalte Streifen deuteten bereits von außen an, wo die Trennwände dahinter verliefen. Versetzte Que r streifen in derselben Farbe gaben dem Ganzen die Wirkung von riesigen Mauersteinen. In der Mitte des Raums zwischen den sechs Stützpfeilern res i dierte der Empfangsbereich, an dem zwei unbekannte Frauen in Businessko s tümen den Telefondienst versahen und Schrei b arbeiten erledigten.
„ Rya, hey!“
Sie zuckte zusammen. Ehe sie reagieren konnte, wurde sie von kräftigen Männerarmen umfangen, die sie an sich drückten , und hatte das Gefühl, ihr Blut würde zu Eis erstarren.
Gefesselt, ausgeliefert.
Sie unterdrückte den Impuls, um sich zu schlagen und zu schreien und rief sich nachdrücklich ins Gedächtnis, dass der Mann, der sie umarmte, Jason war. Ein vertrauter Freund, der ihr ganz sicher nichts antun wollte. Sie zwang sich, seine Umarmung zu erwidern und konnte doch seine Nähe kaum au s halten.
„ Hey“, echote sie.
Er hielt sie auf Armeslänge und musterte sie. Sein Blick blieb länger als n ö tig an ihrer Narbe hängen, ehe er in ihre Augen sah.
„ Du siehst toll aus.“
Sie sah beschissen aus. Das hatte ihr Spiegel ihr vorhin unmissverständlich mitgeteilt. Dünn, blass, wie ein Geist ihrer selbst. Und die Narbe, die sich der Länge nach über ihre Stirn, die Schläfe hinab bis zur Mitte der linken Wange schlängelte, wurde nur teilweise von ihrer Frisur verdeckt. Sie versuchte, sie permanent verborgen zu halten, indem sie den Kopf gesenkt hielt, sodass ihr Haar darüberfiel. Das hatte eine Körperhaltung zur Folge, die Schuldb e wusstsein, Scham oder Angst ausdrückte, für manchen Betrachter sicherlich alles zusammen. Zumindest Scham und Angst trafen zu. Rya war eine Schönheit gewesen, bevor …
Jetzt sah sie nicht nur aus wie ein Schatten ihrer selbst, sie fühlte sich auch so. Sie hoffte, dass Jason das nicht merkte. Dass er ihre Narbe mit einem Ausdruck von Mitleid angesehen hatte, ehe er vermied, noch einmal einen Blick darauf zu werfen, sprach Bände. Er fand sie hässlich und überlegte garantiert, wie er Rya am besten loswerden konnte. Eine entstellte Detektivin war kein Aushängeschild für
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