Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Totenklage

Titel: Totenklage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Sandford
Vom Netzwerk:
1
    Trotz des Nebels hatte sie Chica und sich selbst eine Stunde lang hart rangenommen, und so roch sie auch, Stutenschweiß und Frauenschweiß, vermischt mit einem Hauch von Chanel No. 5. Sie waren von der South Forty auf den Pfad abgebogen, trotteten nun dahin, und sie konnte in ihren Oberschenkeln und Knien spüren, wie das Herz der Stute schlug.
    Beim Springen hatte sich der Nebel nicht kalt angefühlt, doch nun kühlten sie beide ab. Ihre Wangen und ihre Stirn waren rosig, die Fingerknöchel rau. Eine Dusche wäre jetzt schön, dachte sie, danach ein warmes Sandwich und eine Tasse Suppe.
    Gerade hatten sie den Zaun passiert. Sie drehte sich im Sattel um, um zu beobachten, wie das Tor zurückschwang. Da sah sie das Gesicht zwischen den Bäumen. Es war zweifellos ein Gesicht – und im nächsten Moment war es verschwunden, als hätte es sich in Luft aufgelöst.
    Sie wandte sich ab, als ob nichts geschehen wäre, und versuchte, sich das Gesicht in Erinnerung zu rufen. Ein blasses Oval, oben und unten abgeschnitten. Unter dem Oval ein dunkles Trapez. Das Gesicht eines Mannes, wurde ihr klar, der sie durch ein Fernglas beobachtet hatte. Das dunkle Gebilde, das Trapez, waren seine Arme gewesen, die in einer Tarnjacke steckten und das Fernglas gehalten hatten.
    Ein Angstschauer lief ihr den Rücken hinunter. Vielleicht waren sie hinter ihr her.
    Sie unterdrückte den Impuls, die Stute heftiger anzutreiben,
ließ sie aber dennoch traben. Am anderen Ende des Zauns nahm sie die Fernbedienung aus der Tasche und richtete sie auf das Innentor, das vor ihnen aufschwang. Sie schritten hindurch, und während sie sich umdrehte, um das Tor zu schlie ßen, suchte sie mit den Augen die Baumreihe ab. Nichts. Sie steuerten auf den Stall zu. In Vorfreude auf den Futtersack hatte Chica es nun ziemlich eilig.
    Als sie vom Pferd stieg, fühlte sie sich gelöst und fit und begann infrage zu stellen, was sie da gesehen hatte. Drehte sie langsam durch? Brachte der Stress sie um den Verstand? Schließlich war da nur etwas Weißes aufgeblitzt.
    Lon, der Pferdepfleger, kam zu ihr herüber, als sie das Pferd in den vom Geruch nach Pferdemist, Heu und Futter erfüllten Stall führte, den Düften eines angenehmen Lebens. Sie verscheuchte eine Fliege von Chicas Auge und übergab ihm die Zügel. »Ich hab sie hart rangenommen, Lon. Sie ist ziemlich verschwitzt.«
    Als sie über die Schulter des Pferdepflegers blickte, sah sie im hellen Rechteck der offenen Stalltür die Haushälterin über den Hof laufen. Sie hielt gegen den Regen eine zusammengefaltete Zeitung über ihren Kopf. Lon, ein älterer, hakennasiger Mann, dessen Haut gefurcht war wie die Rinde einer alten Eiche, drehte sich um. »Die hat es aber eilig«, sagte er.
     
    Sie erwartete Sandi, die Haushälterin, an der Stalltür. »Sandi?«
    »Da sind zwei Männer.«
    »Zwei Männer?«
    »Watchmen«, sagte Sandi.
    Sie blickte zum Haus hinüber. »Haben Sie sie reingelassen?«
    »Mhm, es regnet doch …« Sandi fürchtete plötzlich, dass sie etwas falsch gemacht hatte. »Ich hab sie in der Eingangshalle warten lassen.«

    »Das ist okay. Schon gut.« Sie nickte. »Sagen Sie ihnen, ich komme gleich.«
    Sandi flüchtete über den Hof zurück ins Haus. Sie selbst redete noch eine halbe Minute mit Lon über das Pferd. Als sie sich zum Gehen wandte, sagte er: »Sei vorsichtig, Maddy.«
    Sie ließ sich Zeit, säuberte ihre Stiefel an der Stiefelbürste vor der Tür und auf der Matte im Haus, zog ihre Regenkleidung und den Helm aus, schüttelte sich die Haare zurecht und hängte die Reitsachen an die Haken in der Abstellkammer. Immer noch in ihren kniehohen Stiefeln stapfte sie durch die Küche und über die Hintertreppe hinauf zum Schlafzimmer. Dort nahm sie die Waffe, eine Blue Steel 380, die sie immer dort aufbewahrte, aus dem Schrank, schob eine Patrone in die Kammer, löste die Sicherung und steckte die Pistole in ihre Jackentasche.
    Sie hatte Angst vor den Watchmen, aber sie war dennoch gespannt, was sie zu sagen hatten, und freute sich auf die Auseinandersetzung. Sie war zwar nicht gerade süchtig nach Nervenkitzel, doch sie liebte Herausforderungen, je härter, desto besser. Sie war früher Felsenkletterin gewesen und fuhr schnelle Autos. Und dann waren da natürlich die Pferde. Die Pferde würden sie vielleicht eines Tages umbringen. Reiten war so gefährlich wie ein Kampf mit Messern.
     
    Sie lief über die Hintertreppe zurück in die Küche und ging durchs Wohnzimmer in den

Weitere Kostenlose Bücher