Gefährliche Stille
Ich habe versucht, ihr Geld
zu geben, aber das junge Ding wollte keine Vernunft annehmen. Sie ging auf mich
los wie eine Wildkatze, das reinste Tier — kreischend, kratzend. Und dann
mischte sich der Alte auch noch ein.«
»Da haben Sie ihn getötet.«
»In Notwehr erschossen.«
»Aber Saskia haben Sie gehen lassen.«
»Das Mädel ist rausgerannt, hat sich
irgendwo versteckt.«
»Und Sie hatten Angst, sie könnte mit
dem Sheriff zurückkommen, also haben Sie Ray Hunters Wagen getarnt und seine
Leiche in den Krater geworfen. Sind mit dem anderen Pick-up davongefahren. Als
Fenella sich bei Ihnen meldete und sagte, Saskia würde den Mund halten, wenn
Sie ihr das Geld für ihr Studium gäben, dachten Sie, niemand würde das mit dem
Mord je herausfinden — und so war es auch, und die Chancen stünden gut, dass es
dabei bleibt, hätte Ihr Sohn nicht das Land gekauft, um dort eine Ferienanlage
zu bauen. Ich nehme an, das Konsortium, das den Modocs den Prozess finanziert,
sind Sie.«
»Warum sollte ich das tun?«
»Weil im Fall der Erschließung die
Wahrscheinlichkeit hoch wäre, dass Ray Hunters Gebeine und sein Wagen gefunden
würden. Und weil Austin sich dann alles zusammenreimen würde.«
»Das braucht er nicht. Er weiß schon
die ganze Zeit, was dort passiert ist.«
Gerade, als ich dachte, jetzt wäre
Schluss mit den Überraschungen, Schluss mit den Lügen.
DeCarlo lächelte schmallippig ob meiner
schockierten Miene. »Sehen Sie, Missy, Sie wissen doch nicht alles. Austin hat
das Mädel ein Jahr später aufgespürt, und sie muss es ihm gesagt haben, denn
danach war er völlig verändert, wollte jahrelang nichts mehr mit mir zu tun
haben. Aber zweiundneunzig hatte ich einen Herzinfarkt, und da wurde er milder.
Jedenfalls dachte ich das, bis er dann dieses Land gekauft hat und anfing,
davon zu reden, wie er’s erschließen und was er dort bauen würde. Wollte wohl
ein Geständnis aus mir herauspressen.«
»Und ist es ihm gelungen?«
»Aus mir presst niemand etwas heraus.«
Ich schon, in gewisser Weise.
In der Ferne näherte sich ein Wagen;
ich hörte das Schnurren des Motors. Was jetzt?
Ich sagte: »Sie hängen offensichtlich
sehr an Ihrem Sohn.«
»Er ist mein einziges Kind. Ich habe
mein Leben lang versucht, dafür zu sorgen, dass er es gut hat. Wie es sich für
einen Vater gehört.«
»Dann sollten Sie jetzt um seinetwillen
dieser Sache ein Ende machen. Erzählen Sie Ihre Geschichte dem Sheriff. Sie
kriegen mildernde Umstände.«
Er lachte rau. »Ich soll etwas
gestehen, das vierzig Jahre her ist und längst vergessen?«
Der Wagen hielt ein Stück vom Haus
entfernt; DeCarlo schien ihn nicht gehört zu haben.
»Es ist nicht vergessen. Austin weiß
es. Saskia weiß es. Und ich auch.«
Er sah auf die Pistole.
»Sie können mich erschießen, ja«, sagte
ich. »Aber überlegen Sie mal, was das für Austin hieße. Sie können Saskia auch
umbringen, dann weiß er, dass Sie uns beide auf dem Gewissen haben. Sind Sie
bereit, Ihren Sohn auch
zu töten?«
DeCarlo verharrte reglos, den Kopf
gesenkt.
»Sind Sie dazu bereit?«, fragte ich
noch mal. »Sind Sie’s?« Jemand war jetzt draußen vor der Tür, aber DeCarlo
hatte immer noch nichts gemerkt. Er war zu sehr in sich selbst versunken.
Er schüttelte langsam den Kopf. Zog die
Hand von der Waffe weg. Zögerte, fasste wieder hin — und ergriff sie am Lauf.
Streckte sie mir langsam...
Die Tür flog auf. Ich hatte Jimmy D.
erwartet, aber es war nicht er, der da hereinstürmte.
Austin. Eine Schrotflinte beidhändig
vor sich. Seine Augen spiegelten Wut und Entschlossenheit wider; sie fixierten
die Waffe in der Hand seines Vaters, schwenkten dann auf dessen Gesicht, als
Joseph sich aufrichtete und sich ihm zuwandte, die 45er locker in der
herabhängenden Hand.
»Du verdammter Idiot«, sagte der alte
Mann. »Vierzig Jahre hast du gebraucht, um dich mir einmal entgegenzustellen.
Und wofür?«
Ohne zu zögern trat Austin einen
Schritt zurück, lud durch und schoss seinem Vater in die Brust.
NACHSPIEL
Montag,
18. September
Joseph
DeCarlo war bei der Einlieferung ins Modoc Medical Center in Alturas bereits
tot. Ich verbrachte den Tag damit, dafür zu sorgen, dass Austin bei Verstand
und auf freiem Fuß blieb. Es gibt Situationen, in denen die Wahrheit unter den
Teppich gekehrt werden muss, damit die Lebenden weiterleben können, und das war
eine davon. Obwohl mir Austin wiederholt erklärte, er wolle sterben, wusste ich
doch, dass das nicht stimmte,
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