Gefährliche Stille
weshalb ich log und Verwirrung vorschützte und
schließlich die Dinge so weit zu vernebeln vermochte, dass sich das Sheriff’s
Department dafür entschied, zu glauben, dass er seinen Vater getötet hatte, um
mir das Leben zu retten.
Ich hingegen wusste um das ganze Ausmaß
der Lüge. Seit meinem Geburtsjahr hatte Austin versucht, den Mut
zusammenzukratzen, Josephs kalter Verachtung zu trotzen, aber in diesem
letzten, entscheidenden Moment war da nicht der ersehnte Mut gewesen, sondern
mörderische Wut. Es würde eine Untersuchung geben, und er würde entlastet
werden, aber für den Rest seiner Tage mit dem Wissen leben müssen, dass in
seiner Hassliebe zu seinem Vater der Hass gesiegt hatte.
Donnerstag,
21. September
12
Uhr 43
Austin und ich warteten in dem kleinen
Abfertigungsgebäude des Flughafens von Newell auf unsere Charterflüge nach
Monterey respektive Boise. Es war plötzlich feuchtheiß geworden, und die
Klimaanlage hatte just diesen Moment gewählt, um auszufallen. Es tat mir Leid,
dass ich auch noch das emotionale Klima aufheizen musste, aber da waren Fragen,
auf die ich Antworten brauchte. »Woher wusstest du Sonntagnacht, wo dein Vater
war?« Austin guckte weg, während er antwortete — ein Muster, das sich schon
durch die ganzen letzten Tage gezogen hatte. »Er hatte mir am Nachmittag
erklärt, er werde die Sache mit dir ein für alle Mal regeln. Das klang so sehr
wie das, was er damals in Cinder Cone gesagt hat. Also bin ich ihm zum
Flughafen gefolgt und habe den Charterservice bestochen, mir zu sagen, wo er
hingeflogen war. Dort hatte er einen Mietwagen genommen und sich den Weg zu
Bearpaws Haus beschreiben lassen, und mit einer herzerweichenden Story von
einem Krankheitsfall in der Familie bin ich ebenfalls an die Wegbeschreibung
gekommen.«
»Warum hast du eine Schrotflinte
mitgenommen?«
»...Ich dachte, du wärst in Gefahr. Er
hatte schon mal jemanden getötet.«
Und dieses Zögern sagt mir alles.
15 Uhr 50
Ich stand an Saskias Krankenhausbett,
und meine Augen tasteten ihr Gesicht ab — registrierten kleinste Details,
katalogisierten die Ähnlichkeiten und die Verschiedenheiten, versuchten dann,
unter die Oberfläche vorzudringen, zu ergründen, wer diese mir so nah verwandte
Fremde wirklich war. Ihre Augen taten dasselbe.
Wir hatten beide seit der Begrüßung
nichts mehr gesagt. Ich hatte keine Ahnung, was in ihr vorging, aber meine
Reaktion war flach und kühl; tagelang hatte ich mich für diese Begegnung
gewappnet, meine Abwehr für den Fall der Zurückweisung mobilisiert. Jetzt war
ich das Opfer dieser selbst geschaffenen Distanz geworden.
Saskia brach das Schweigen. »Als ich
dich weggegeben habe, dachte ich, ich würde dich nie wieder sehen«, sagte sie
mit ihrer dunklen Stimme, die meiner so ähnlich war. »Bis vor zwei Wochen
wusste ich nicht, dass ich adoptiert worden bin.«
»Robin hat mir erzählt, was du seither
durchgemacht hast — einschließlich der Ereignisse in Modoc County. Woher
wusstest du, was dort passiert war?«
»Ich wusste es nicht. Ich war neugierig
auf das Land, das Austin dort gekauft hatte, und ich dachte, vielleicht würde
ich dort eine Spur zu demjenigen finden, der dich angefahren hatte. Aber sobald
ich in Cinder Cone war, war mir klar, dass der Ort wichtig war, weil du den
Namen erwähnt hattest, als du zeitweilig aus dem Koma aufgetaucht warst.«
»Ach?«
»Ja, du sagtest ›Cinder‹, ›Cone‹ und ›Such‹.
Wahrscheinlich wolltest du, dass jemand nach der Leiche deines Onkels Ray
suchen sollte.«
»Vermutlich. Ich hatte immer ein
schlechtes Gewissen, weil ich damals einfach weggelaufen bin und nicht dafür
gesorgt habe, dass er ein ordentliches Begräbnis bekam.«
»Nach dem, was ich gehört habe, hattest
du gar keine andere Wahl.«
Wieder senkte sich Schweigen herab — lastend,
unbehaglich. Saskias Gesicht war aschfahl, mit schwarzen Schatten unter den
Augen. Ich wusste, ich sollte die problematischen Fragen auf ein andermal
verschieben, aber sie belasteten mich, und ich hatte ein Recht, diese Dinge zu
erfahren.
»Warum hast du den Mord an Ray nicht
angezeigt, nachdem du Joseph DeCarlo entkommen warst?«, fragte ich. »Ich hatte
eine Todesangst vor ihm. Er war reich und mächtig, und ich hatte ihn meinen
Onkel erschießen sehen.«
»Aber so sehr kannst du dich nicht
gefürchtet haben. Sonst hättest du doch nie zugelassen, dass Fenella ihn
erpresst.«
»Was?«
»Diese Schecks, die sie dir während
deines gesamten
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