Gefährliche Stille
unwahrscheinlich, dass sie vergessen
hat, mit wem sie an diesem Datum zusammen war.«
Das dunkle, traurige Etwas regte sich
wieder in Elwoods Augen. »Aber sie hat Ihnen trotzdem nichts von mir erzählt.«
»Ich glaube, sie hat vor, es zu tun,
aber es ist schwer, eine Lüge aufzugeben, mit der man so lange gelebt hat.
Austin glaubte, ich sei seine Tochter, und irgendwie hat ihr der Gedanke
gefallen, ihn damit zu bestrafen, dass sie mich zur Adoption freigab. Mich
erstaunt allerdings, dass sie sich nicht an Sie gewandt hat, nachdem DeCarlo ihren
Onkel getötet hatte.«
Er presste die Lippen aufeinander,
starrte in die Flammen hinter der gläsernen Tür des Kaminofens. Nach einer
Weile sagte er: »Schlechtes Timing.«
»Wie meinen Sie das?«
»Sie hat mir eine Nachricht in meiner
New Yorker Pension hinterlassen, ich solle sie dringend zurückrufen. Aber ich
hatte gerade einen Monat vorher die Frau kennen gelernt, die ich dann später
geheiratet habe, und war meistens bei ihr. Als ich die Nachricht schließlich
fand und zurückrief, entpuppte sich die Nummer als ein Münztelefon in einer
Raststätte. Kia war natürlich längst weg.«
»Haben Sie versucht, sie zu finden?«
»Nein.«
»Warum nicht, um Himmels willen?«
»Ich war jung, verliebt und sehr mit
meinem Studium beschäftigt.«
»Und für sie war in Ihrem Leben kein
Platz.«
»So kann man’s sagen.«
»Und was ist mit mir? Ist in Ihrem
Leben Platz für mich, oder soll ich einfach weiter so tun, als sei Austin mein
leiblicher Vater?«
»Ich habe nie viel davon gehalten, so
zu tun als ob.«
»Ich auch nicht.«
»Ich habe mir immer ein Kind gewünscht,
jemanden, an den ich die alten Sitten weitergeben kann.«
»Ich brauche einen Vater, der mir
hilft, sie zu verstehen.« Elwood Farmer stand auf, zündete sich eine Zigarette
an. »Komm morgen wieder«, sagte er.
»Was?«
»Morgen werden wir den Tag zusammen
verbringen — wenn wir beide Zeit gehabt haben, unsere Gedanken zu sammeln.«
Und durch den aufsteigenden Rauch
zwinkerte mir mein Vater zu.
Dienstag,
26. September
10 Uhr 10
Mas Augen waren traurig, als ich am
Ende meines Berichts über die Geschehnisse der letzten drei Wochen angelangt
war. Sie wandte sich ab und schaute die geblümte Tapete ihres Frühstückszimmers
an, als sei deren Fröhlichkeit eine Beleidigung.
»Ich nehme an«, sagte sie, »du wirst
jetzt eine Menge Zeit damit zubringen, deine neue Familie kennen zu lernen.«
»Elwood Farmer gedenke ich im November
zu besuchen. Ich möchte mehr über die Shoshonen erfahren.«
»Und deine... Mutter?«
»Ich hoffe, dass sie mich bald besucht.
Ich mag sie — und ihre Tochter und ihren Sohn auch.«
Ma seufzte. »Das Leben ist manchmal
seltsam. Andy und ich dachten, es würde unsere Beziehung stärken, wenn wir dich
adoptieren, aber letztlich hat es uns nur auseinander getrieben, wegen all der
Lügen.«
»Und warum konntest du mir das alles
nicht gleich sagen, an dem Abend, als ich mit dem Adoptionsantrag zu euch
gekommen bin?«
»Ich hatte Angst. Ich hatte schon Andy
verloren — nicht erst durch seinen Tod, sondern schon viel früher, als ihn die
Lügen endgültig von uns allen wegtrieben. Du weißt doch, wie er war — immer in
dieser Garage verkrochen, bis er schließlich neun von zehn Nächten dort
schlief. Ich hatte Angst, dich auch noch zu verlieren.«
»Aber indem du an diesen Lügen
festgehalten hast, hast du doch erst recht alles dafür getan, mich zu
verlieren.«
»Ja, jetzt ist mir das auch klar. Ich
habe es endgültig geschafft, das, was von der Familie übrig ist, auch noch
auseinander zu reißen.« Mas Augen waren so leer, als blickten sie in eine
trostlose Zukunft.
Ich versuchte, sie zu verstehen. Dachte
an all die Nächte, die sie allein verbracht hatte, obwohl sie Pa gebraucht
hätte, und an all die Tage, an denen er unerreichbar und deprimiert gewesen
war. Sie verdiente es bestimmt nicht, noch mehr Zurückweisung zu erfahren,
durch niemanden — auch nicht durch mich.
Ich legte meine Hand auf ihre, die auf
dem Tisch ruhte. »Ma, die Familie ist unbeschadet. Elwood ist irgendwie ein
Vater für mich, und das ist gut, weil mir Pa sehr fehlt. Aber Kia wird für mich
eher so etwas wie eine Freundin oder eine Lieblingstante sein. Eine Mutter habe
ich ja schon.« Sie blinzelte verblüfft, und um ihren Mund zuckte es. Im ersten
Moment dachte ich, sie würde anfangen zu weinen, aber dann kroch diese mir nur
allzu vertraute stählerne Entschlossenheit in ihren
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